Das Lied vom Schwein.

Franz Brunner

von Franz Brunner

Story

Armes Schwein. Böses Schwein. Fettes Schwein. Blödes Schwein. Gemeines Schwein. Kaum ein domestiziertes Lebewesen wird in der alltĂ€glichen Kommunikation so oft angesprochen wie das „Sus scrofa domesticus“, das gemeine Hausschwein.

Bei manchen Dingen brauche ich einfach lĂ€nger. Ich meine jetzt nicht das altersbedingt beschwerliche Anziehen der Schuhe, den zunehmend schleppenden Gang zum FrĂŒhstĂŒck oder die Lösung des morgendlichen KreuzwortrĂ€tsels. Nein, es geht darum, den Text eines Liedes zu verstehen. Noch dazu ein deutsches Lied, demnach alle Vokabeln bekannt. Trotzdem habe ich’s nicht ganz verstanden, vielleicht auch nicht verstehen wollen. Doch dieser Tage fiel der Groschen.

Die Prinzen, die deutsche Kultband aus Leipzig, die sind schlau, die haben schon 1995 erkannt, wie’s geht. Wie man vorankommt, wie man seinen Alltag optimiert und stets auf der Sonnenseite des Lebens wandelt. RĂŒcksicht? Ein Fremdwort. Teamgeist? Ist was fĂŒr Weicheier. Empathie? Blödes GesĂŒlze. Da ist das ausgeklĂŒgelte Rezept der Prinzen eindeutig erfolgversprechender:

„Du musst ein Schwein sein in dieser Welt. Schwein sein. Du musst gemein sein in dieser Welt. Gemein sein. Denn willst du ehrlich durchs Leben geh’n. Ehrlich. Kriegst ’nen Arschtritt als Dankeschön. GefĂ€hrlich. Weil ich weiß, dass ich’s mir leisten kann, stell‘ ich mich ĂŒberall vorne an. Und ist einer sanft und schwach, hör‘ mal wie ich drĂŒber lach. Bei den freundlichen Kollegen halt ich voll dagegen. Obwohl mich keiner mag, sitz ich bald im Bundestag.“

Gehen wir die Weltordnung mal durch, wer sind denn die Reichen und die MĂ€chtigen? Etwa die Nachfolger von Mutter Teresa, Nelson Mandela oder Mahatma Gandhi? Nein, ich meine jetzt nicht deren Kinder, zumindest Mutter Teresa war ja kinderlos.

Ich meine den Typ Mensch: aufopfernd, bescheiden, visionĂ€r, selbstlos, charakterstark und ehrlich. Man kann auf allen Erdteilen und in allen LĂ€ndern suchen, eine/n MĂ€chtige/n mit dem Konglomerat dieser Eigenschaften wird man nirgends finden. Einzig das Attribut „visionĂ€r“ mag fĂŒr manche zutreffen, doch fĂŒr deren Vision sollten die Typen möglichst bald in der Hölle schmoren. Konkrete Angaben erspare ich mir, meine Leser haben ausreichend Fantasie und sind gebildet. Zudem lasse ich mich ungern verklagen oder gar von Geheimdiensten jagen.

Also zurĂŒck zu den Prinzen. An deren Strategie ist was dran, die hat was. Und soviel ich weiß, ist Deutsches Fernsehen sogar in Korea, Russland und Brasilien zu empfangen. Und der Google-Übersetzer funktioniert zuverlĂ€ssig.

So, jetzt habe ich fĂŒr heute genug provoziert. Bevor mich jemand ernst nimmt, fĂŒr mich eine Voodoo-Puppe bastelt und Nadeln kauft, muss Schluss sein. Was ich damit sagen wollte? Wir sind nicht so, nein, wir sind gaaaaaaanz anders. Hat auch der VdB gesagt: „Wir sind nicht so.“ Andererseits hat er vor Kurzem aber nachgelegt: „Das darf doch nicht wahr sein.“ Jetzt ziehe ich mich ins KĂ€mmerlein zum Nachdenken zurĂŒck.

© Franz Brunner 2022-10-22

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