Das Mülchkandl-Drama

Story

In meiner Kindheit, in den 1950/60er Jahren, gab es noch alles in einem Ort, was man in einem Ort so brauchte. Kirche, Schule, Schendamarie, Schuster, Schneider (mein Papa), Rader, Schmied, Tischler, Maler, Landstreicher, und an jeder Ecke ein bis zwei Wirtshäuser. Einen Adeg und einen Spar. Man ging entweder zum Adeg ODER zum Spar. Ein Lebtag lang. Alles andere wäre Verrat gewesen.

Bei uns war es etwas schwierig. Wir waren Spar, eigentlich Lackenbucher. Und der Adeg hieß Mayerhofer, später Hipp. WIR waren über Generationen Spar. Da heiratete mein Onkel in den Adeg bzw. in den Hipp ein. Er heiratete die krass fesche Hipp Hülde (Hilde). Wos mochma hiaz? Gemma a zen Hipp, oda niet? Oda ze pade (beide)? Amol zen an und amol zen ondan?

Irgendwie haben wir es hingekriegt. Ich wollte aber, wie immer, eigentlich ganz was anderes erzählen. Doch es gehört irgendwie zum Gesamtbild dazu. Also, ich wollte erzählen von dem Milchkandldrama. Wir hatten eben auch eine Molkerei. Nicht, dass da die Kühe gemolken wurden. Das passierte im Stall. Bauern gab es genug. Die lieferten die Milch jeden Tag „kuahworm“ (igitt) an die Molkerei. Dort wurde sie gekühlt und vielleicht auch sonst irgendwie behandelt. Sterilisiert, elektrifiziert, domiziliert oder gar doskoziliert. Wos waßn i.

Ich war in meiner Kindheit ziemlich klein und zart. Somit prädestiniert für flotte Einkäufe. Ich schlupfte zwischen den Erwachsenen durch, stand plötzlich erste Reihe fußfrei und hielt meine Milchkandl der Molkerei-erin auf die Budl. An Lita Mülch, pitte!

Die „Großen“ waren so überrascht, dass sie immer auf’s Schimpfen vergaßen. Die Zeiten waren auch noch etwas gemütlicher damals. Olles a piiesl longsomaaa. Potschasni. Es wurde noch viel getratscht beim täglichen Einkauf. Social Media, Oralverkehr. Ihr wissts, wos i man.

Jedenfalls hielt ich der Frau an der Milchzapfsäule meine verbeulte Leichtmetallkandl hin. Sie befüllte sie. Ich zahlte. Nein, ich zahlte nicht. Die fünf Schilling, die ich grad noch in meiner aufgeregten Schwitzhand hatte, waren plötzlich nicht mehr da. Fünf Schilling!!! Weg! Das war tatsächlich für ein Kind damals ein ziemliches Drama. Vor allem für ein Kind, dessen Papa schon mehrere Pleiten hingelegt hatte und hoch verschuldet war. Aber er war ein braver Pleitier. Einer, der sehr viel Unternehmergeist aber wenig Glück hatte.

Der Weg nach Hause war die reine Qual. Die Verkäuferin hatte mich gehen lassen. Das war kein Problem. Man konnte damals überall anschreiben und bezahlte am Ende des Monats. Aber wie sollte ich meiner Mutti erklären, dass das Geld weg war? Den ganzen Weg nach Hause scannte ich die Seestraße ab nach einer matt-grauen Münze. Nichts.

Ich verschob mein Geständnis. Es würde noch früh genug ans Tageslicht kommen. Spätestens am nächsten Tag, bei der nächsten Kandl. Ich schlief sehr unruhig. Der Morgen der Wahrheit graute. Und Mutti empfing mich mit den Worten: Warum hostn du die 5 Schilling in die Mülchkandl eine gschmiiiesn?

© 2020-08-05

Hashtags