Das mit dem Zug. Und dem Leben.

Margit Harasym

von Margit Harasym

Story
Wien 2023 – 2024

Jeder kennt sie ja, diese Metapher. Die Gedanken zwischen den Jahren kumulieren genau zu dieser Thematik enorm. Bei mir zu mindestens, im geplagten Großhirn. Da bekommen die diversen Charaktere, die im Lauf eines Jahres aus- und zugestiegen sind, die Richtung gewechselt oder den Notruf betätigt haben – und auch die ohne Ticket – Gesichter, Namen und Eigenschaften und werden von den Synapsen der jeweiligen Rubrik zugeordnet.

Die interessanten und lustigen Reisenden, an die man gern sein Herz hängen würde, sind leider meist die, die am kürzesten im Waggon verweilen. Sie stolpern lachend in den Zug, man merkt ihnen aber an, dass sie bald wieder aussteigen wollen (die haben es sicher anderswo viel spaßiger!). Sie reißen ihre Possen, erzählen ihre humorvollsten Geschichten maximal zwischen den Stationen, dann haben sie es eilig. Sie wollen wieder raus, in einen anderen Zug einsteigen, dort ihren Applaus kassieren. Schade. Und traurig, man möchte sie so gern festhalten, ihnen sagen, dass es doch grade hier wirklich am allerschönsten ist. Sie lassen sich nicht aufhalten.

Die Richtungswechsler machen einen schwindlig. Na, was jetzt? Zur Endstation? Ja? Nein, doch nicht? Man kennt sich nicht aus. Das sind die Haken-Schlager, die während der Fahrt nervös aus dem Fenster schauen und auf ihren Sitzen herumrutschen. Aus Angst die richtige Station zu verpassen, um in die Gegenrichtung umzusteigen. Auch die, die den Notruf betätigen, weil sie es gar nicht erst aushalten bis zur nächsten Aussteigemöglichkeit. Die sind anstrengend, die machen einen fertig. Man weiß, gleich stoppt der Zug mit immensem Getöse und man muss sich ganz arg festhalten, um nicht vom Sitz geschleudert zu werden.

Na, und die, die ohne Fahrschein einsteigen, die kennt wohl auch jeder. Eigentlich haben sie hier nichts verloren, sie wollen trotzdem ein Stück mitfahren, als blinde Passagiere. Vielleicht wegen des Nervenkitzels erwischt zu werden?! Oft weiß man es nicht und oft ist es auch gut, wenn man es nicht erfährt. Sie wirken immer ein wenig gehetzt, rastlos.

Und dann gibt es da die Mitreisenden, die es sich unaufgeregt und lächelnd bequem machen im Abteil. Sie drapieren ihre Jause am Tisch, ziehen die Schuhe aus, machen es sich gemütlich. Sie sind immer da, meistens verschwendet man keine Gedanken an sie, weil sie sich so ruhig verhalten und sich offensichtlich wohlfühlen. Sie sind auf angenehme Weise präsent, Felsen in der imaginären Brandung. Die bleiben, auf die braucht man sich nicht sonderlich konzentrieren oder sich um sie Sorgen, Gedanken machen.

Wenn sie jedoch auf einmal aussteigen, ist es am schwersten auszuhalten. Der Wohlfühlfaktor, das Warme-Ofen-Gefühl, es ist einfach weg. Kalt wird es und ungemütlich. Sie fehlen. Daher sollten wir ihnen schon beim Einsteigen den roten Teppich ausrollen, die Temperatur nur auf sie ausrichten, sie dürfen ihr Lächeln nicht verlieren. Wenn man sie überzeugen kann zu bleiben, atmet man erleichtert auf. Das muss noch perfektioniert werden, sagt mein Großhirn.

© Margit Harasym 2024-01-01

Genres
Reise
Stimmung
Herausfordernd, Emotional, Hoffnungsvoll
Hashtags