von Irene Hülsermann
Was gibt es Schöneres als ein Feld voller Mohnblumen oder im ganz Allgemeinen die Feldblumen? Wir wohnen in einer kleinen verkehrsberuhigten Straße mit wenigen Häusern. Genau uns gegenüber stand ein unbebautes Grundstück und zu meiner großen Freude leuchtete die Wiese rot. Der Mohn blühte in voller Pracht und erinnerte mich an Italien. Glück kann so winzig sein. Mein erster Blick nach dem Aufstehen in den nächsten Tagen galt immer diesem Mohnfeld. Schon startete der Tag gut.
Dummerweise wohnte schräg gegenüber von mir eine Frau, die einen kleinen klinisch reinen Rasen besaß. Dass sie nicht mit der Nagelschere ihr Heiligtum beschnitt, grenzte an ein Wunder. Schon ein Jahr davor hatte sie uns aufgefordert den Acker, wie sie ihn nannte, im Wechsel mit den Nachbarn zu mähen, da der Löwenzahnsamen in ihr gepflegtes Territorium flog. Wir lachten sie aus, wer wollte schon seinen Rasenmäher beim Abmähen des Ackers zerstören. Sie war somit die Einzige, die sich dieser Tätigkeit annahm und wie zu erwarten, ruinierte sie ihren Rasenmäher.
Eines Morgens, als ich aufstand und nach dem Mohnfeld schaute, fiel ich fast in Ohnmacht. Die Stadtgärtner waren gerade im Begriff die Wiese platt zu machen. Ich rannte hinaus und versuchte zu retten, was zu retten war. Aber ich hatte keine Chance. Es wurde alles umgepflügt. Der hügelige Acker sah anschließend grauenvoller aus wie vorher. Immer noch holprig und grob mit vielen Steine versehen – nur jetzt ohne Mohnblumen.
Meine Hoffnung, der Mohn käme im folgenden Jahr zurück, blieb unerfüllt. Dafür hatte sich der Löwenzahn massiv vermehrt. Es leuchtete gelb. Schadenfroh wie ich nun mal bin, freute ich mich sehr, als kurze Zeit später der Samen an einem stürmischen Tag in den Garten der Nachbarin flog.
© Irene Hülsermann 2021-05-08