Das müssen sie nicht…

Tina Doeffinger

von Tina Doeffinger

Story
Baden-Württemberg 2024

Ich öffne die Tür zur Anmeldung. Bevor ich auch nur einen Ton von mir gebe, werde ich bereits mit Namen begrüßt. Nicht nur, dass ich erkannt werde, sondern auch die Freundlichkeit, die an diesem Ort ausgeteilt wird, senkt meinen Puls spontan um einige Schläge. Die Zugewandtheit der beiden Mitarbeiterinnen der onkologischen Ambulanz ist wie eine warme Decke über meinen Nerven. Heute habe ich ihnen ein kleines selbstgemachtes Geschenk mitgebracht und als ihre Augen aufleuchten, wird ihre Freude zu meiner. 

Ich sage ihnen, wie sehr ich ihre Freundlichkeit schätze, besonders wenn man so angespannt ist. “Das müssen sie nicht!”, antwortet eine der Frauen.

Ihre Worte begleiten mich auf den Stuhl, in den ich mich auf dem Flur fallen lasse. “ Was muss ich nicht? “angespannt sein? „Soll das heißen, alles ist gut?” Ich muss mich nicht auf eine weitere unliebsame Entdeckung gefasst machen? Mit ihren Worten schwindet spontan ein Teil der Anspannung.

Die Welt hält den Atem an und wartet mit Bangen auf das Wahlergebnis über dem Teich. 

Ich sitze im Wartebereich und versuche mich ans Weiteratmen zu erinnern. Ein und aus. Länger aus als ein. Beruhigt ein wenig. Aber nicht nur das. Ich zücke Stift und Papier. Gedanken kritzeln, Zuversicht einsammeln, die sich in Sätzen findet, an denen ich mich festhalte, die nicht wegbrechen, weil sie fest verankert sind. Sätze, die wahr sind. Wahr in allen Fällen. Die sich aufplusternde Angst wird sie nicht zerdrücken können. Sätze, die mein stolperndes Herz beruhigen. Sätze, die mir sagen, dass ich gehalten bin. Ich spüre, wie sich eine gute Portion Frieden über die Befürchtungen legt.

Ich werde aufgerufen von einem sehr jungen und jugendlich wirkenden Pfleger, der sich aber als Oberarzt entpuppt. Gleich wird er mir die Auswertung des CT verkünden. Ich wappne mich. Und dann: Gute Nachrichten füllen meine Ohren und sickern wohltuend in mein System. Alles soweit in Ordnung. Keine Auffälligkeiten. Selbst die Gerinnsel in der Lunge haben sich aufgelöst. Meine Erleichterung spült mir Felsbrocken von der Seele. Erfüllt von Dankbarkeit verabschiede ich mich von diesem wunderbaren Oberarzt, der mit seinem Lockenkopf einem Engel doch sehr ähnlich sieht. Zumindest könnte er locker als einer durchgehen….


© Tina Doeffinger 2024-11-07

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Entspannend, Angespannt