von Eva Filice
Der Schwager meines Vaters teilte ihm mit, dass ein Haus am Hauptplatz versteigert werden sollte. Die betroffene Familie war über Jahre hinweg wegen Erbschaftsansprüchen in Streit geraten. Meine Mama erinnert sich an den komplizierten Hauskauf: Herr S. war in russische Gefangenschaft geraten und heiratete nach dem Krieg eine russische Frau. Eine seiner beiden Schwestern lebte in Wien, eine andere in Kittsee, ein Bruder war im Nachbarort „gut“ verheiratet und ein weiterer Bruder als Weltenbummler bekannt. Die Eltern baten den Sohn inständig mit der jungen Familie aus Russland nach Kittsee zu kommen, um das Haus und die Wirtschaft zu übernehmen. Die Wiedersehensfreude währte nicht lange. Die anderen Geschwister beanspruchten auch ihren Erbanteil und forderten das bei Gericht ein. Da nach jahrelangen Prozessen keine Einigung erzielt wurde, kam es zur Versteigerung. Papa setzte sich mit der Schwester, die im Ort lebte, in Verbindung, da ihr mehr Anteile als den anderen Geschwistern zugesprochen wurden. Er bot ihr bei positivem Abschluss der Versteigerung ein Schwein und Weizen an. Ein Fleischhauer aus dem Nachbarort zeigte ebenfalls Interesse an dem Haus am Hauptplatz. Doch bei der Versteigerung war Papa der einzige Interessent. Die Verhandlung bei Gericht ergab als Verkaufssumme 60.000 Schilling. Die Rechnung der Rechtsanwälte betrug bereits 30.000 Schilling. Die verbliebene Summe sollte zu unterschiedlichen Teilen auf die Geschwister aufgeteilt werden. Papa wurde von einem Notar aus Neusiedl beraten. Plötzlich zeigten die Tochter und der Schwiegersohn des Herrn S. Interesse am Kauf des Elternhauses. Papa ließ ihnen den Vortritt, doch die Familie konnte die erforderliche Summe nicht aufbringen, und so erhielten meine Eltern das Zuschlagsrecht. Mein Vater verdoppelte die Summe, die dem Hausbesitzer Herrn S. zustand. Als das die andere Erbin erfuhr, verlangte sie von Papa zum versprochen Schwein und Weizen ebenfalls Geld. Als Papa auf der ursprünglichen Vereinbarung weiter bestehen blieb, brachte sie eine Klage bei Gericht ein, die sie aber verlor. Papa ließ Herrn S. noch ein Jahr in dem alten Haus wohnen, bis er in das Haus seiner Tochter einziehen konnte. Um die Summe für das Haus am Hauptplatz aufzubringen, erhielt meine Familie für das alte Haus im unteren Ort 38.000 Schilling, 2.000 Schilling erließ Papa dem Nachbarn der Halbwirtschaft. Herr Scholz, der Freund, der Interesse an der Hofhälfte gehabt hatte, stellte meinen Eltern einen Kredit zur Verfügung. Die Kosten für den Hausbau lukrierten meine Eltern auch durch den Verkauf eines Feldes an das Wiener Ehepaar Postinger, in deren Haus in der Auhofstraße die Schwester meines Vaters mit ihrer Familie wohnte.
Das alte Haus am Hauptplatz wurde durch einen Neubau ersetzt, in den wir im Herbst 1956 einzogen. Drei Zimmer, das Schlafzimmer der Eltern und jenes der Großeltern sowie das Wohnzimmer, in dem meine Schwester und ich schliefen, wurden zur Straßenseite ausgerichtet. Vom Vorzimmer erreichte man die große Küche, eine Speisekammer und einen Abstellraum. Erst im Jahre 1970 wurde bei der Erweiterung des Wohnhauses Fließwasser eingeleitet, eine Zentralheizung errichtet sowie Raum für ein Badezimmer und Klo geschaffen. Die Stallgebäude wurden einige Jahre später ebenfalls neu gebaut. Der große Garten bot alles, was wir benötigten. Ein Bauernhof all-inklusive!
© Eva Filice 2024-06-28