Das Nicht “Hotel Mama”

Anatolie

von Anatolie

Story

England war ein unvorstellbar teures Pflaster. Ein gewöhnlicher Einkauf beim Discouter „Tesco“ ließ meinen Adrenalinspiegel schon mal in schwindelerregende Höhen schnellen. Die Ausgaben zur Deckung der alltäglichen Grundbedürfnisse hatten bisher nur wenig meine Geldbörse belastet. Bis vor kurzem war ich, trotz meiner 27 Jahre, noch nie richtig aus dem „Hotel Mama“ ausgeflogen, mit Ausnahme der wenigen Wochen im Jahr, wenn ich urlaubte. Meine Einkäufe beschränkten sich auf Wurstsemmeln und Joghurt für Büropausen, ich hatte ein Auto zu erhalten, ging gerne abends weg, und den Rest meines Geldes durfte ich großzügig in Klamotten und Reisen stecken. Eigentlich hatte ich ein sorgenfreies und angenehmes Leben geführt, wenn man es rein materiell betrachtet.

Nun aber schwanden meine bescheidenen Reserven im Zeitraffer dahin. Jetzt kam auch noch die wöchentliche Miete für das Zimmer bei Emma hinzu. Ich musste mich also zeitnah um eine Erwerbsquelle kümmern! Die Honeymoon Phase mit Haris endete spätestens mit dem Besuch seiner Mutter, wenn auch nur vorübergehend. Haris versorgte mich mit allerlei Kostproben ihrer kretischen Kochkunst, die sie in seinem Heim mit großem Eifer zelebrierte, aber vorbeikommen und am Tisch Platz nehmen, war für mich leider nicht drin. Einmal trieb mich die Neugier in seine Straße, als ich Haris bei einer Vorlesung wähnte, und klopfte an. Eine Frau mit dunklem Teint und skeptisch nach unten gezogenen Mundwinkeln steckte fragend ihren Wuschelkopf zur Tür heraus. „Haris no here“ sagte sie in gebrochenem Englisch, und ich beeilte mich gleich wieder zu gehen bevor sie in meinem Gesicht eine verdächtige Regung bemerken konnte.

Im Stadtkern gab es ein öffentliches Jobcenter, und dort hingen die neuesten Stellenausschreibungen noch auf Zetteln an großen Pinnwänden aus. Meine Ausbildung zur Sekretärin war hier im englischsprachigen Raum von wenig Nutzen, wenn ich auch die Sprache ganz leidlich beherrschte. Ein Hotel in Strandnähe suchte eine Dame fürs Zimmerservice und auch zur gelegentlichen Hilfe für den Ausschank an der Bar. Ich hatte vor Jahren schon mal als Zimmermädchen in Tirol gearbeitet. Eine Tätigkeit, die mir alle verfügbaren Kraftreserven abverlangte, und ich hielt damals auch nicht lange durch. Das hier aber war ein gediegenes Stadthotel mit einer überschaubaren Zahl an Zimmern und kein Schicki Micki Schitourismus Tempel.

„We’ve got another Austrian in the kitchen“, antwortete mein angehender Chef Mr. D.L, sehr erfreut. Ich durfte schon am übernächsten Tag anfangen. Chris, die Chef Zimmerservice-Lady, eine resolut wirkende Blondine mit streng im Nacken fixiertem Zopf, führte mich durch die Gänge, zeigte mir einige der Zimmer und das Aufgabengebiet eines angehenden Hotelpersonals. „You shoud know this job is sometimes hard“, sagte Mr. D.L. zum Abschluss, und Chris nickte dazu eifrig und dienstbeflissen. „But someone has got to do it. So you do it best with a big smile“.

© Anatolie 2022-03-30

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