von es_schreibt_mich
Er blickte an sich herab, während er nach vorn fiel. Gefrorene Grashalme knirschten unter seinen Knien und drückten sich durch die dünne Anzughose, Kälte kroch von seinen Zehenspitzen bis in seinen Scheitel. Es war nicht die Winterkälte, sondern eine bleierne Schwere, die mit einer eisernen Unumstößlichkeit einherging. Er wusste, dass er tödlich getroffen war. Der, den er „der Andere“ nannte, stand gut fünfzig Meter entfernt, den Arm parallel zum Boden, die rauchende Waffe darin noch auf ihn gerichtet. Der Nebel wusch seine schwarze Silhouette zu einem schmutzigen Grau aus. Das alles war Punkt Eins.
Die Hand des Angeschossenen glitt suchend zu Boden. Nur eine Kleinigkeit gab es noch zu erledigen, eine letzte Kraftanstrengung. Er hatte jahrelang für diesen Moment trainiert, um seine Aufgabe erfüllen zu können. Komme was wolle. Aber jetzt fand er den ersehnten Auslöser nicht.
Ein spöttisches Lachen von oben. Der Nebel riss auf und gab den Blick auf den Anderen vollends frei, der sein Spiegelbild war – bis auf die Sonnenbrille, die seinem Widersacher fehlte. Er begann, zu vergessen, doch als er sich noch fragte, warum er selbst eine Sonnenbrille trug, umgab sie gleißendes Licht, und das Gras unter seinen Knien wurde zu glattem Stahl. Punkt Zwei.
„Lassen Sie es sein“, sagte der Andere sanft und steckte die Waffe weg. „Sie können es sowieso nicht mehr starten.“
Er wusste, dass er nicht wieder aufstehen würde. Wie gut, dass seine Aufgabe in etwas ganz anderem bestand. Hinter dem Schützen hatte der weichende Nebel zwei nach außen geschwungene Metallsäulen freigegeben – Punkt Drei. In ihrer Mitte waren zwei weitere Anzugträger erschienen, die mit vor der Brust verschränkten Armen breitbeinig ihren Verbündeten flankierten. Seine Hand tastete erneut den Untergrund ab. Er zwang den Blick weg von den drei Männern. Sein Blut war randvoll mit Adrenalin und Dringlichkeit. Es gab ihm Kraft, um genau hinzusehen. Da! Der runde Knopf, kaum größer als zwei Zentimeter im Durchmesser, war in einer unscheinbaren Metallverblendung in den Boden eingelassen. Direkt neben seiner rechten Hand schloss er bündig mit dem glatt gebürsteten Stahl ab.
„Es ist zu spät. Das Zeitfenster ist abgelaufen“, sagte der Andere entspannt. „Das Protokoll startet nicht mehr.“
Aber er wusste, dass ihm noch ein Moment blieb. Mit der ganzen Handfläche drückte er den Knopf tief in den Boden. Punkt Vier.
Die letzten Sekunden. Kälte in jeder Zelle seines Körpers. Rauschen seines Atems in seiner Lunge. Dann endlich – die erlösende Vibration in seinen Knien, die von den anlaufenden Förderbändern hunderte Meter unter ihm herrührte. Als er die Überraschung und schließlich die Panik in den Gesichtern der anderen Anzugträger las, wurde ihm der vollumfängliche Erfolg seines Unterfangens bewusst. Erleichterung schwappte über ihn – Erleichterung und grenzenlose Freude, die nicht einmal dann versiegte, als er ins Nichts kollabierte.
© es_schreibt_mich 2022-06-26