Das Ronacher

AdaMea

von AdaMea

Story
Wien

Als das Licht gelöscht wurde, hörte ich Dot leise aufseufzen. Die vielen Menschen, die mit uns ins Ronacher geströmt waren, hatten sie nervös gemacht. Sie fühlte sich in ihrer Programmierwelt und unter dubiosen Gestalten wohler als inmitten der Wiener Schickeria. Der rote Vorhang schwang zur Seite. Glück durchströmte mich. Die Theater-Bühnen der Stadt waren eine Welt für sich. Ich vergötterte die Kostüme und Requisiten, die Masken und Rollen, in die die Darsteller schlüpften, um anders zu sein.
Paul hatte mir einen Korb gegeben. Er verbrachte den Abend mit dem jungen Mann, in den er sich verliebt hatte. Es war seltsam, ihn wieder von Liebe sprechen zu hören. Nun musste Dot den präpotenten Liedern von Falco lauschen. Ich war gespannt, wie lange sie durchhalten würde. Wir saßen im ersten Rang. Der Blick auf die Bühne war perfekt. Raphael Adler und seine Mutter besetzten die samtroten Stühle vor uns und fügten sich mit ihrer Eleganz nahtlos in das Ambiente ein.
Ich wollte ihn mit meinen Augen verschlingen. Er war es. Auf eine absurde Art und Weise war er der Richtige fĂĽr mich.
„Ich ersticke“, behauptete Dot und fächelte sich mit dem Programmheft Luft zu.
Beruhigend streichelte ich ihr ĂĽber die Wange. Die Hitze war hier oben schwer zu ertragen. Ich wollte mir am liebsten die blonden langen Haare vom Kopf reiĂźen und die dicke Schicht Make-up vom Gesicht meiĂźeln, aber das ging nicht. Niemand durfte mich erkennen.
Als das Orchester zu spielen begann, fuhr eine Gänsehaut über meine Arme. Die Streichinstrumente glichen Berührungen in der Tiefe. Der Gesang dehnte mein Herz ins Unermessliche aus. Nach 30 Minuten sprang Dot auf und zwängte sich fluchend an den Zuschauern vorbei. Wenig später wurde die Vorstellung wegen eines technischen Defekts unterbrochen. Ein Zufall? Sicher nicht. Es war ihr Geschenk an mich und vielleicht auch eine Entschuldigung für ihr frühes Gehen. So konnte ich leichter Kontakt mit dem Adler aufnehmen.
Im Schein der aufflammenden Lüster begannen die Menschen beunruhigt zu murmeln. Ich wartete geduldig auf die Fortsetzung, aber nichts veränderte sich. Die Minuten zogen sich in die Länge. Raphael Adler wandte sich nach einiger Zeit zu mir um.
„Wie gefällt Ihnen das Musical bisher?“, wollte er wissen.
Seine Mutter betrachtete mich interessiert und mit einem freundlichen Lächeln.
„Es gefällt mir ausgesprochen gut“, entgegnete ich höflich.
„Wo ist Ihr Begleiter geblieben? Hat er das Weite gesucht?“
„Ich weiß es nicht.“
„Ihre Stimme kommt mir so bekannt vor“, meinte Adler und streckte mir die Hand entgegen, die ich ergriff. „Kennen wir uns?“
„Nicht, dass ich wüsste“, log ich und erschauerte unter seinen Fingern.
„Wie heißen Sie?“
„Valentina“, erwiderte ich.
„Ein wunderschöner Name“, schwärmte er.
Er dachte nicht daran, mich wieder loszulassen und stellte mir seine Mutter vor. Wir plauderten, bis die Show weiterging. Im wiedereinsetzenden Mantel der Melodien umkreisten mich die Fragen. Wusste Raphael, wer ich war? Warum hatte ich ihm meinen echten Namen verraten?


© AdaMea 2024-03-16

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Emotional, Mysteriös
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