Das schwarze Huhn

Johanna Korsmeier

von Johanna Korsmeier

Story

Dorfsheriff Ben hatte sein Fahrrad an der Bank am Rand des Feldwegs abgestellt. Er öffnete sein Notizbuch und blätterte durch die sorgsam beschriebenen Seiten. In den letzten Monaten war nichts Bemerkenswertes vermerkt. Ben zog einen Bleistiftstummel aus seiner Jackentasche. Damit notierte er das Tagesdatum, der 30.04., in der oberen linken Ecke der Buchseite. Dann folgten in Normschrift die Details seiner Abendrunde. Diese lasen sich wie folgt:

  • 17:30 Aufgebrochen
  • 17:45 Frau Becker dabei geholfen die Einkäufe ins Haus zu tragen
  • 18:20 Eine Gruppe Teenager im Glashaus der alten Gärtnerei erwischt
  • 19:00 Pause

Nach diesem Eintrag steckte Ben sein Büchlein und den Bleistift zurück in die Jackentasche. Zufrieden öffnete er als Nächstes seine Brotdose. Gerade als er herzhaft in sein Brot beißen wollte vielen ihm die aufziehenden Gewitterwolken auf. Ben ließ das Sandwich zurück in die Brotdose fallen. Enttäuscht steckte er die Brotdose zurück in den Fahrradkorb. Er würde nur schnell seine Runde beenden bevor es anfing zu regnen. Ben trat kräftig in die Pedale. Plötzlich saß da ein Huhn auf der Straße. Er bremse und klingelte. Doch das Biest rührte sich keinen Millimeter. Ben riss den Lenker zur Seite und landete im Graben. Das Huhn saß noch immer auf der Straße und schaute ihn an, wie er sich aus dem Graben aufrappelte. Die schwarzen Federn glänzten in der untergehenden Sonne. Ben griff nach dem Huhn, doch dieses flatterte mit den Flügeln und rannte ein gutes Stück den Weg hinunter. Dort begann es auf der Straße zu scharren. Ben verfolgte das Tier und bekam es beim zweiten Versuch besser zu fassen. „Wegen Störung der allgemeinen Straßensicherheit nehme ich dich hiermit in Gewahrsam“, verkündet er dem Huhn. Sanft strich er dem verängstigten Vogel über den Rücken, während er überlegte wie er nun vorgehen sollte. „Am besten du begleitest mich auf meiner Runde und wenn wir beim Hexenhof vorbeikommen frage ich Rudi, ob er dich aufnehmen kann bis ich herausgefunden habe, bei wem du ausgebüxt bist.“ informierte er das Huhn sachlich. Rudis Hof lag am Waldrand in der Nähe vom Hexenteich. Hof und Teich hatten ihren Namen der Hexenverfolgung im Mittelalter zu verdanken. Während Ben in der Abenddämmerung den Waldweg entlang fuhr, war das Huhn im Fahrradkorb eingeschlafen. Als er um eine Ecke bog, entdeckte er einen weißen Geländewagen, der mitten auf dem Waldweg abgestellt worden war. Auf der Ladefläche lagen einige Müllsäcke. Ben stellte sein Fahrrad ab. Er notierte sich das Kennzeichen und schaute sich dann nach den Umweltsündern um. Sie hatten den Müll offensichtlich ein Stück in den Wald gezogen. Vorsichtig folgte Ben der Schleifspur. Ben erstarrte hinter einem Baumstamm. In einer Senke zwischen zwei Steinen waren zwei Männer dabei Holz und Laub aufzuschichten. Auf einem der Steine lag regungslos ein weniger als halb bekleidetes Mädchen. Das war ein Moment um die echte Polizei zu rufen, doch Bens Handy hatte kein Guthaben, keinen geladenen Akku und lag auf seiner Küchenzeile. Die Männer gossen Benzin aus zwei Plastikkanistern auf das Holz. Da kam Ben eine Idee. Leise schlich er zurück zu seinem Fahrradkorb um das Huhn und seine Brotdose zu hohlen.

© Johanna Korsmeier 2024-12-29

Genres
Spannung & Horror
Stimmung
Abenteuerlich, Komisch, Hoffnungsvoll, Entspannend