Ich zuckte zusammen und biss mir in nächsten Moment schmerzlich in die Wange, bis ich Blut schmecke. Es war die Vernunft, welche mir befahl, den Kiefer zu lockern. Denn obwohl der Biss wehtat und die feine Note meiner roten Lebensessenz geradezu widerwärtig jeden angenehmen Geschmack wie schreckhafte Tauben verscheuchte, war der Schmerz geradezu eine süße Erlösung.
Der Gedanke, dass ich es verdient hätte, schlich sich in mein Bewusstsein. Ebenso wie das brennende Ziehen in meiner Wange das Bilderchaos in meinem Kopf schlagartig erstarren ließ und ich so die Möglichkeit hatte, die Erinnerungsfetzen neu zu sortieren.
Ich weiß nicht, wie lange ich völlig bewegungslos einfach nur dastand und Erinnerungsgarne ordnete. Ein rotes, welches mich an die wütenden Flammen eines Waldbrandes der Liebe, und welches ich besonders schnell in eine Schublade im Regal meiner größten Fehler quetschte. Eines, welches zart grün wie junger Maiwuchs seine Nadeln nach meinem kaputten Herzen ausstreckte. Ein violettes, leuchtend wie die Augen einer blutrünstigen Nachtkreatur.
Das Band, welches schwärzer als all meine Ängste war, hielt ich ein wenig länger. Wie Säure brannten sich die feinen Fühler in mein Bewusstsein und rissen klaffende Löcher in mein Herz. Doch jetzt, wo ich die Erinnerung fortstoßen wollte, klebte sie wie kochendes Pech an mir.
Erneut steig die Angst in meine Glieder, ließ meine Erstarrung in eine hilflose Lähmung übergehen und hielt mich im Schmerz fest. Der schwarze Nebel beschworen Selbsthass und Inakzeptanz meiner selbst gegenüber. Fieberhaft versuchte ich die Röte davon abzuhalten, mein inneres Chaos zu entlarven.Das flehende Bedürfnis in mir, zusammenzusinken, nach hinten zu kriechen, bis ich meinen verletzlichen Rücken schützend in eine dankbare Ecke drücken konnte, und die Arme um meine Knie zu schlingen, zerriss mir das Herz. Wie gerne würde ich jetzt weinen. Schreien. Zeigen, welches Chaos in mir wütete. Ausrasten. Und dann wieder verstört in mich zusammenzusinken.
Doch ich konnte es nicht. Denn jedes Mal, wenn die von Selbsthass getriebene Panik in mir ausbrach, wusste ich, dass ich keine Wahl hatte. Ich musste so tun als würde die Welt bei mir jenem roten Faden folgen, der mich in eine goldene Zukunft führte.
Vielleicht war dieses Verhalten und diese Denkweise dumm, doch es war die einzige Möglichkeit, wie ich mir dem bunten Linienchaos in meinem Kopf klar kam. Denn nur mit Mühe schaffte ich es, den schwarzen Rauch der Nebelwolke in mir einzudämmen, bis ich ihn an seinen Platz in der untersten Schublade gedrängt hatte.
Das bisschen freie Sicht, welche sich wie eine tröstende Decke um mich legte, nutzte ich augenblicklich, um rasch einen schönen Gedanken hervorzukramen, welcher eine gewisse Ruhe in meine Welt brachte.
Es war schwer. Jedes Mal aufs Neue tat es höllisch weh. Aber es war das Päckchen, das ich zu tragen hatte. Und wie die anderen würde ich das schon irgendwie schaffen.
Also lächelte ich.
© Vanessa Unterbeck 2021-02-15