Das schwierigste Puzzle

Luna_S_Gray

von Luna_S_Gray

Story

Puzzles sind generell vor allem eines: anstrengend. Ich meine, wer nimmt sich denn ein schon fertiges Bild und zerschneidet es, nur um es wieder zusammenzusetzen? Was ist der Sinn dahinter? Entspannung, vermutlich, aber schlussendlich kommt man doch immer an einen Punkt, an dem man am liebsten alles vom Tisch fegen würde. Ein ganzer schwarzer Bereich, bei dem man einfach nicht erkennen kann, welches Teil wohin gehört, ein fehlendes Teil oder die schier unendliche Suche nach der letzten Ecke.

Bücher schreiben – oder Geschichten, wie ich es in meinem Fall sagen würde, weil mein „Werk“ weder veröffentlicht ist noch sich auf dem Weg dahin befindet – ist allerdings ein ganz besonders anstrengendes Puzzle.

Wenn man anfängt, hat man nur ein paar unförmige, grob beschnittene Teile. Diese werden zusammengesetzt, oder eher zusammengepresst, mit purer Willenskraft, da ihre Kanten eigentlich nicht zueinanderpassen. Die Fläche, die entsteht, ist gewölbt, mit Lücken, wo die Teile nicht miteinander abschließen und hat eine seltsame Form.

Diese Abscheulichkeit, dieses Monster nennt man dann „Ersten Entwurf“.

Sein Anblick ist, wie wenn man bei einem Puzzle den Rand fertiggestellt hat, aber ein Teil fehlt: Man möchte aufgeben, aber dabei ist man noch längst nicht fertig und hat das schwierigste Level noch gar nicht erreicht.

Also geht es zum nächsten Schritt, bei dem man die Teile wieder auseinandernimmt, sie immer und immer wieder begutachtet, um sich Stücke dazu auszudenken, ohne zu wissen, wie sie am Ende das fertige Puzzle ergeben; man gibt ihnen eine Form, die vielleicht am Ende gar nicht mehr an den Ort passt, den man ihnen am Anfang zugedacht hat. Aber man beißt sich durch, bis die Augen tränen, weil man so lange auf die einzelnen Teile gestarrt hat und das Licht mit der Motivation immer düsterer wurde. Noch nebenbei müssen Stücke ersetzt und entfernt werden, fügen sich vielleicht an anderer Stelle zu eigenen Puzzles zusammen, die schlussendlich außerhalb des Originals liegen und mit denen man sich unnötigerweise beschäftigt, bevor man merkt, dass man sich zu weit vom Weg entfernt hat.

Doch dann, wenn man schon die Befürchtung hat, dass die übrigen Teile nicht mehr reichen, dass irgendetwas fehlt oder dass das Bild am Ende vielleicht gar nicht schön aussieht, dann fügt man das letzte Stück ein und die Abscheulichkeit verwandelt sich in eine runde, abgeschlossene Geschichte.

Mit Sicherheit, auch hier sind noch Lücken, wo die Puzzleteile falsch oder nur nachlässig zusammengelegt wurden.

Aber man kann sich zurücklehnen, die Arme strecken und den Blick stolz auf sein Werk richten.

Wenn jetzt jemand am Puzzletisch vorbeigehen würde, würde er nicht nur ein vollständiges Bild sehen, es würde ihn auch dazu bewegen, mehrere Sekunden innezuhalten und es auf sich wirken zu lassen. Mit dem Blick den einzelnen Fäden zu folgen, die sich am Ende in einem großen Knoten vereinen, der sich dann löst. Das hofft man zumindest.

© Luna_S_Gray 2021-07-08

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