von Lotte Maria Kaml
Der Bau der Tauern-Autobahn war in vollem Gange. Lärm, Dreck und Staub gehörten zum Alltag. Etwa 400 Meter Luftlinie von meinem Elternhaus entfernt steht ein großer Felsen. Zu seinen Füßen führte die alte Landstraße in Richtung Talschluss. Dieser Palfen war jetzt im Weg, also wurde der Großteil davon weggesprengt. Meiner Schwester und mir war das Ganze manchmal etwas unheimlich. Wir mussten, wenn wir zum Schulbus gingen, die Ohren spitzen.
Wenn ein hoher Pfeifton erklang, hieß das: Stopp! Gleich würde die nächste Ladung Sprengstoff detonieren. Zwei Mal pfeifen hieß: es kracht gleich. Drei Mal Pfeifen bedeutete Entwarnung. Dann durften wir weitergehen. Etwas Gutes hatte das Ganze aber auch. Die drei Fremdenzimmer, welche bei dem ständigem Baulärm wohl leer geblieben wären, waren dauer-vermietet. An ein Bauunternehmen, das Quartiere für die Angestellten benötigte.
Eines Tages, meine Schwester und ich hatten den Bus versäumt, marschierten wir mit der schweren Schultasche am Rücken in Richtung Zuhause. Es war ein heißer Sommertag, wir schwitzten und diese eineinhalb Kilometer erschienen uns ewig lang. Am Ortsausgang stand ein altes Stallgebäude. Es wurde nur mehr als Abstellraum genutzt, jede Menge Gerümpel stapelte sich darin.
An diesem Tag sprang direkt vor unseren Augen eine kleine Katze durch das Fenster ohne Glasscheibe ins Innere des Stalles. Wir konnten natürlich nicht widerstehen und mussten nachschauen gehen. Die Tür klemmte. Als wir sie mit vereinten Kräften aufgestoßen hatten, fiel uns etwas entgegen. Es war ein Gips-Skelett! In Menschen-Größe. Erschrocken ließen wir es einfach liegen und liefen davon. Zuhause angekommen, berichteten wir aufgeregt von unserem Fund.
Meinem Vater ließ es keine Ruhe und er fuhr mit seinem Moped zum Stall. Er legte das Ding zurück und machte die Tür wieder zu. Vermutlich stammte das Exponat vom alten Doktor, der in Pension gegangen war. Am nächsten Tag stach uns Mädels aber der Hafer: Wir haben das Skelett in eine Decke gewickelt, nach Hause geschleppt und hinter einem Holzstoß versteckt.
Im Finstern trugen wir es dann zu dem unversperrten LKW, dessen Fahrer ein ziemlicher Angeber war. Wir zerrten es auf den Beifahrersitz. Der rechte Arm baumelte dekorativ aus dem offenen Fenster. Am nächsten Morgen ging es rund: von lautem Schimpfen, begleitet vom hysterischen Gekläffe des Hundes wurden wir wach. Unser kleiner Dackel Lumpi sprang voller Ehrgeiz in Richtung Skelett-Arm. Schließlich biss er die Hand ab und rannte mit ihr davon. Der Chauffeur stand total geschockt daneben, leichenblass im Gesicht.
Erstaunlich war dann, dass wir uns nicht einmal entschuldigen mussten. Mama schüttelte nur den Kopf, mein Vater sagte grinsend: „Dass dieser Schnösel so ein Scheißer ist…“ Feiglinge konnte er halt nicht leiden. Aber – so eine Skelett-Hand wäre eigentlich cool. Als Eyecatcher für meine Ringe. Auf Echtheit lege ich im Fall des Falles aber keinen Wert…
© Lotte Maria Kaml 2020-07-25