von Sarah Kuper
Auf dem Herd blubberte es und die Spaghetti tanzten in dem großen silbernen Topf. In dem kleineren Topf daneben rührte Papa die cremige, rote Tomatensoße um. Ich hatte mich auf einen Stuhl gestellt und schaute Papa beim Kochen zu, denn ich liebte Spaghetti mit Tomatensoße. Das Nudelgericht gab es jeden Montag und so nannten wir es liebevoll „Montagsessen“. Spaghetti mit Tomatensoße war für mich nicht einfach ein Gericht, es war der Inbegriff von Zuhause.
Eigentlich sollte es ein richtig schöner Tag werden. Wir waren in den Urlaub gefahren und wohnten in einem schönen Ferienhaus. In dem großen Garten machten wir Wasserschlachten und in dem kleinen Wäldchen hinter dem Haus konnte man prima Verstecken spielen.
Es war ein heißer Tag. Nachmittags besorgte Papa Eis und Mama ging ein bisschen spazieren. Etwa eine halbe Stunde später zog sich der Himmel zu. Bedrohliche Wolken verdunkelten den sonnigen Himmel. Die Luft war feucht und drückend. Es fing an zu regnen. Wir zogen uns in das Wohnzimmer zurück und spielten Karten. Nur Mama war immer noch nicht wiedergekommen.
Langsam machten wir uns Sorgen, sogar Papa wurde unruhig. Ich begann zu weinen. „Was, wenn Mama nicht zurückfindet?“, schluchzte ich. Mein Bruder nahm mich ausnahmsweise in den Arm. „Wir suchen Mama“, beschloss Papa. Wir rannten aus dem Haus zum Auto, als ein heller Blitz den Himmel durchzuckte. Noch rechtzeitig, bevor der Donner loskrachte, saßen wir im Auto. Der Regen wurde stärker und prasselte auf das Dach. Ich hatte Angst und griff nach der Hand meines Bruders. Wir fuhren die Straße entlang und suchten die Waldwege ab, die hin und wieder von einem hellen Blitz erleuchtet wurden. Keine Mama. Mein Griff wurde fester. Jeder laute Donner ließ mich auf meinem Kindersitz zusammenzucken.
Wir waren schon eine ganze Weile unterwegs. Von Mama immer noch keine Spur. Ich versuchte mir nicht auszumalen, wie das Leben ohne Mama sein würde. Die Regentropfen peitschten jetzt heftig gegen die Windschutzscheibe. Man konnte kaum etwas erkennen. Rund um unser Ferienhaus hatten wir alle Wege abgesucht und Papa blieb nichts anderes übrig, als zurückzufahren. Wir fuhren gerade auf das Grundstück, als ich jemanden vor der Eingangstür stehen sah.
Da stand meine Mama. Mein Herz machte einen Sprung. Unendlich erleichtert sprang ich aus dem Auto und lief ihr durch die matschigen Pfützen entgegen. Als ich ganz dicht bei Mama ins Haus ging, hatte ich plötzlich einen unglaublichen Hunger. Mama ging duschen und Papa holte die Zutaten für das “Montagsessen” aus dem Schrank. Die Küche war schön warm. Ich stellte mich auf einen Stuhl ganz dicht neben den Herd, sodass ich die Nudeln tanzen sehen konnte. Es roch nach würziger Tomatensoße.
Wenig später saßen wir alle am Tisch mit einer riesigen Portion Nudeln auf dem Teller und einer Decke aus roter Soße. Draußen tobte das Gewitter. Hier drinnen war ich sicher. Und da war es wieder. Das Spaghetti-Gefühl. Warm. Duftend. Alle zusammen. Zuhause.
© Sarah Kuper 2022-08-17