von Valentina Ugur
Der Süßigkeitenautomat
In einer kleinen Seitenstraße, versteckt zwischen einer alten Bäckerei und einem verfallenen Kino, stand er: ein alter, quietschroter Süßigkeitenautomat. Schon die Erwachsenen hatten dort als Kinder ihre Bonbons und Kaugummis geholt. Die meisten Automaten in der Stadt waren längst verschwunden, aber dieser hier hielt sich. Niemand wusste so recht, wem er gehörte — und warum er immer noch funktionierte.
Leon, ein aufgeweckter Zehnjähriger, hatte von den älteren Kindern Geschichten über den Automaten gehört. Man sagte, wenn du um Mitternacht eine Münze hineinwirfst, bekommst du nicht irgendeine Süßigkeit — sondern genau das, was du dir am sehnlichsten wünschst.
An einem warmen Sommerabend beschloss Leon, es selbst herauszufinden. Er wartete, bis seine Eltern schliefen, schlich sich aus dem Haus und rannte zur alten Gasse. Der Automat stand da, beleuchtet nur vom fahlen Schein einer Straßenlaterne.
Mit zitternden Fingern warf Leon eine alte 50-Cent-Münze ein. Das Display blinkte auf, obwohl es seit Jahren defekt schien. Er wählte wahllos die Nummer 23. Ein leises Rumpeln. Die Klappe öffnete sich.
Drinnen lag keine gewöhnliche Süßigkeit, sondern ein Bonbon, eingewickelt in schimmerndes, goldenes Papier. Auf dem Papier stand mit geschwungener Schrift: „Wünsch dir was.“
Zögernd steckte Leon das Bonbon in den Mund — und in dem Moment veränderte sich alles. Vor ihm tauchte ein kleiner, funkelnder Wald auf. Er hörte Lachen, das Rascheln von Blättern, und sah ein Mädchen, das genau so aussah wie seine Schwester, die vor zwei Jahren gestorben war. Sie winkte ihm zu, lächelte.
„Danke, dass du mich nicht vergessen hast“, flüsterte sie.
Tränen liefen Leon über die Wangen. Als er die Augen schloss und wieder öffnete, war alles verschwunden. Nur der Süßigkeitenautomat stand noch da, als wäre nie etwas gewesen. In seiner Hand lag nun ein kleiner, zerknitterter Zettel:
„Manchmal sind die süßesten Dinge die, an die man sich erinnert.“
Seitdem wurde erzählt, dass der Automat in manchen Nächten Wünsche erfüllte — aber nur für die, die ihn mit dem Herzen fütterten, nicht mit Münzen.
© Valentina Ugur 2025-05-09