von Sonja M. Winkler
Ob der Besuch von C. mit dem Impuls, L. anzurufen, ursächlich verknüpft ist, kann ich nicht mit Sicherheit bejahen. Ich ziehe es zumindest in Betracht.
C. und ich saßen bei Kaffee und Kuchen, sprachen über dies und das. Kann sein, ihr missfiel mein zu einem Rossschwanz zusammengefasstes Haar. Gäbe es sonst einen Grund, dass mir C. ihren Friseur empfiehlt, wo ich doch die Haare gar nicht schneiden lassen will, im Gegenteil, ein letztes Mal noch in meinem Leben will ich einen französischen Zopf flechten.
Als C. die Tür hinter sich schloss, machte sich ein eigenartiges Gefühl in mir breit. Dann wählte ich L.’s Nummer, und beim zweiten Klingelton hör ich sie, eine Stimme, tief und sonor, ein Timbre, das in mir immer etwas zum Schwingen brachte, deine Stimme allein.
Im März steht eine Herz-OP an, sagst du, zwei neue Stents. Sonst passiert das, was der Liese Prokop passierte, der ehemaligen Innenministerin, ob ich mich erinnere, fragst du. Aorta-Riss. Aber wenn’s vorbei wär, es tät dich eh nicht stören, weilst a verkrochte Existenz bist.
L. ist der Mann, in den ich mich Hals über Kopf verliebte, damals, dem ich Gedichte schrieb und lange Briefe. Von denen, die ich abschickte, gibt’s noch Durchschläge, in irgendeiner Schublade. Die unabgeschickten, eingelegt zwischen Tagebuchseiten, schwappen über mit Gefühlen. Und allem, was er ausgelöst hat. Emotionale Turbulenzen. Crash and Disaster.
Er, ausgelöst. Ich, abgelöst. Seit 10 Jahren ist Ruhe eingekehrt in mir. Aus und vorbei. Über Jahre hat es sich hingezogen. Immer wieder trieb’s uns zueinander. Und auseinander. Ich, in die Irre gelaufen. Er, abgetaucht. Die Wartezeiten waren lang. Unsere Liebe hat sich nicht so erfüllt, wie ich es erträumte. Vielleicht verdient das, was zwischen uns war, nicht einmal den Namen Liebe, weil Liebe von Dauer ist. Weil sie sich nicht erschöpft.
Du gehst noch immer laufen, aber bist schnell erschöpft. Du kämpfst mit Schwindelanfällen.
Ich denk zurück, als ich Anfang 30 war. Du hast vorgetastet, ob ich auch laufen geh. Und dann trafen wir uns regelmäßig im Auer-Welsbach-Park, liefen schnurstracks zur Gloriette hinauf, zogen Runde um Runde im Schlosspark. Wir küssten uns gegenseitig die Schweißperlen aus dem Gesicht. Unsere Herzen schlugen wie verrückt.
Mit den Söhnen hast du wenig Kontakt. Dein ältester Enkel ist 20. Er spielt Basketball, sagst du, du schaust manchmal zu.
Ein paar Wünsche hast du noch, bevor du dich in einem Pensionistenheim anmeldest. Die Bretagne bereisen. Ob ich mitkommen tät, fragst du. Ich kann nicht Französisch, sag ich und weiche aus.
Du bist über ein Wort gestolpert, Hauthunger ist’s, das kommt angeblich in einem meiner Gedichte vor, Hauthunger stillen. Schön, sagst du. Ist lange her, sag ich.
Nach meinen Haaren fragst du. Noch immer so dicht? Schon weiß? Einmal noch in ihnen wühlen, davon träumst du.
Nach 46 Minuten und 13 Sekunden beenden wir das Telefonat. Nice try, denk ich, der Flirtversuch. Noch immer dieselbe Masche.
© Sonja M. Winkler 2023-01-30