Das Telegramm

Barbara Prinz

von Barbara Prinz

Story

Mein Blick fĂ€llt auf meine drei allerersten FotobĂŒcher, die ich schon fast verloren glaubte.

Immer wieder hatte ich in den letzten Wochen alle SchrÀnke in unserer Wohnung und sogar das Kellerabteil nach diesen Erinnerungsfotos durchsucht. Irgendwo mussten sie doch sein!

Eines Tages kĂŒndigten meine Eltern kurzfristig einen „Zwischenstopp“ bei mir zu Hause an. Sie wĂŒrden mir meine Fotoalben zurĂŒckbringen.

So cool, diese Worte liessen meinen Puls vor Freude in die Höhe schnellen. Endlich. Ich umklammerte die Alben, die sich lĂ€ngst durch ihre Farben in mein GedĂ€chtnis eingebrannt hatten. Der erste Einband ist blau, dann folgt rot und grĂŒn. Mein Vater hatte sie vor lĂ€ngerer Zeit ausgeliehen, um fĂŒr meine Schwester Fotos zu scannen. Mein Sohn hatte sie meinem Vater ausgehĂ€ndigt. Und das hatte ich komplett vergessen.

Ein Bild berĂŒhrt mich immer wieder. Das erste Foto von mir, welches durch die Glasscheibe entstand.

Da ich als FrĂŒhchen zur Welt kam, wurde ich sofort nach der Geburt direkt von Wiener Neustadt auf die Kinderabteilung nach Mödling gebracht. Meine Mutter bekam mich folglich erst am 5. Lebenstag zu Gesicht. Ihren ErzĂ€hlungen nach war ich zu dĂŒnn, nicht ausgereift und hatte Finger wie ein Frosch. Ach du meine GĂŒte, welch einen ernĂŒchternden Eindruck hatte ich hinterlassen. Ich war jedenfalls sichtlich bestens versorgt.

Einige Wochen spĂ€ter, kam dann DAS Telegramm: Man möge “das Kind“ am Folgetag abholen. Aufgeregt packten meine Eltern und meine Schwester damals mein – fĂŒr mich neu gestricktes und genĂ€htes – Gewand zusammen, um mich nun endlich in Empfang zu nehmen und hĂŒbsch einzukleiden.

Meine Schwester, knapp zwei Jahre Ă€lter als ich zappelte und hĂŒpfte vor dem Krankenhaus vor Freude herum, da sie mich nun fĂŒr immer nach Hause holen durfte.

Kaum im Krankenhaus angekommen, wurde meiner Familie mitgeteilt, dass ich weitere zwei Wochen im Spital bleiben mĂŒsse. Durch mein ĂŒbermĂ€ssiges Schreien hatte ich mir einen doppelseitigen Leistenbruch zugezogen, den mĂŒsse man noch operativ versorgen.

Mich macht dieses Erinnerungsfoto nachdenklich.

Ich brachte drei Kinder zur Welt und war keine Minute nach der Geburt von ihnen getrennt. Es gab „Rooming-in“ und ich wurde jeweils nach 4 Tagen mit dem Neugeborenen nach Hause entlassen. Es ist fĂŒr mich schwer nachzuvollziehen, wie es damals fĂŒr meine Mutter gewesen sein mag.

Meine Mutter erzĂ€hlt, dass es vor fast 50 Jahren einfach so war. Das frisch geschlĂŒpfte Kind kam nach der Geburt in die Obhut der Schwestern auf die SĂ€uglingsstation. Punkt.

Ich bin dankbar und froh, dass alles gut kam fĂŒr mich. Und ich spĂŒre bis heute das Löwinnenherz meiner Mutter auch in mir schlagen.

Wenn es um meine Kinder geht, bin ich da. So wie es meine Mutter in ihren Möglichkeiten auch tat. Welch ein Wandel, damals zu heute. Ich fĂŒhle mich reich beschenkt. So geschieht Heilung. Telegramm und Foto haben mir Erinnerungen zurĂŒckgebracht: Geschichten, Farben, GerĂŒche und GefĂŒhle

Und ganz viel LIEBE.

© Barbara Prinz 2020-08-24

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