Das U-Boot

Jana Kunze

von Jana Kunze

Story
irgendwo im Meer

Du sitzt auf dem Sofa in der Nautilus. Die Kissen unter dir sind weich und warm. Als du deine Augen öffnest, schaust du direkt aus dem riesigen Fenster am Bug des Schiffes. Das U-Boot gleitet langsam durch das trübe Wasser des Hafens. Du siehst undeutliche Umrisse von Steinen und Seegras vorbeiziehen. Ab und zu schwimmt ein Fisch dicht an der Scheibe vorbei, bevor er wieder im schleierhaften Wasser verschwindet.

Dann wird das Meer klarer und immer klarer. Ihr gleitet über weißen Sand, vorbei an merkwürdigen Steinformationen, auf denen bunte Korallen wachsen. Du weißt, dass ihr den Hafen verlassen habt und jetzt in den weiten Ozean steuert. Hier draußen gibt es mehr Fische. Schwärme von glänzend silbrigen Heringen schwimmen an euch vorbei. Alle Bewegungen der Tiere sind perfekt aufeinander abgestimmt, sodass sie wie eine große silberne Blase wirken, die langsam durch das Meer schwebt. Wenn ein größerer Fisch durch den Schwarm hindurch schwimmt, fliehen die Tiere vor ihm. Sie weichen auseinander, sodass sich ein Tunnel bildet. Hinter dem großen Fisch gleiten sie wieder zusammen wie Quecksilber. Der Schwarm ändert plötzlich die Richtung in einer Folge von immer neuen und bizarren Formen. Jede Form ist unerwartet, aber von einer leichten und ungezwungenen Eleganz. Du beobachtest den Schwarm gebannt, bis er in der Weite des Ozeans verschwindet.  

Als du dich umdrehst, siehst du den restlichen Raum. Die Wände sind vom Boden bis zur Decke mit Regalen bedeckt. In ihnen sammeln sich Bücher und allerlei Kuriositäten. Muscheln und merkwürdig geformte Steine, Meerglas und Stücke von Korallen, getrocknete Pflanzen und Knochen von kleinen und großen Tieren.  

„Ich sehe, du bewunderst meine Sammlung“, sagt Kapitän Nemo. „All dies habe ich in den vielen Jahren, die ich in meiner Nautilus reise, auf dem Meeresboden gefunden und hierher mitgenommen. Es sind Erinnerungen an die Orte, die ich gesehen und die Freunde, die ich dort gefunden habe.“ Er streicht mit der Hand über eine unmöglich verdrehte Schnecke. Für einen Moment herrscht Stille, während Kapitän Nemo seinen Gedanken nachhängt. Du hörst nur das leise Rauschen des Wassers, das gelegentliche Schaben, wenn ihr an einem Felsen vorbeikratzt und das sanfte Pochen, wenn ein neugieriger Fisch gegen die Scheibe schwimmt.  

„Komm mit, mein Freund“, sagt Kapitän Nemo. Du folgst ihm einen Korridor entlang bis zu einem kargen Raum. Im Boden des Raumes ist ein rundes Loch, in das eine Leiter hinabführt. An den Wänden hängen Tauchanzüge. Kapitän Nemo reicht dir einen der Anzüge. Vorsichtig steigst du hinein. Erst mit dem linken Bein, es wird warm und schwer, dann mit dem rechten Bein, auch das wird warm und schwer. Dann ziehst du den Anzug hoch, über deine Hüfte und deinen Bauch und auch hier fühlst du dich warm und schwer. Du atmest tief ein und aus. Dann steckst du deine Arme in die Ärmel, erst links, dann rechts. Du lässt den Anzug über deine Schultern gleiten, wo er warm und schwer liegt, bevor du den Reißverschluss schließt. Zuletzt setzt du den schweren Taucherhelm auf, den dir Kapitän Nemo reicht. Zusammen steigt ihr die Leiter in den Ozean hinab. 

© Jana Kunze 2023-08-15

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Reflektierend, Entspannend