von Andreas Trimmel
Das Fluor. Das ist ja per se ein ziemlich unglĂŒckliches armes Ding, habâ ich heutâ erfahren. Weil es nur sieben Valenzelektronen hat. Dabei hĂ€tte es doch soooo gerne acht von diesen Exemplaren. Habâ ich erfahren. Warum es die gern hĂ€tte, habâ ich allerdings nicht erfahren. Das weiĂ ich nicht, das kann mir auch der Zwölfer nicht sagen. Der stimmt sich zwar grad fĂŒr Chemie ein, doch irgendwie stimmt die Chemie grad gar nicht. Die zwischen ihm und der Chemie. Dabei wĂ€râs höchste Zeit, dass die stimmt, die Chemie. Denn stimmt die nicht, dann wird auch das Testergebnis in zwei Tagen nicht stimmen. Und dann ist er unglĂŒcklich, der Zwölfer – so wie das arme Fluor. Wegen der Valenzelektronen.
Ich fragâ das pubertierende Dutzend also nochmals, was es mit den Valenzelektronen auf sich hat, wozu die gut sind – und was in aller Welt ein Valenzelektron ĂŒberhaupt ist. Das mĂŒsse doch irgendwo im Lehrbuch stehen, erlaube ich mir anzumerken. âTut es nichtâ, meint er, voller Ăberzeugung. âUnd wir haben das auch GANZ sicher NICHT im Unterricht durchgemacht!â, schiebt er rasch nach. Ganz so als wĂŒrde er meine Gedanken lesen und meine nĂ€chste Frage kennen, noch bevor sie sich mir selbst offenbart hat. âAber ich kannâs Dir mit dem Fluor erklĂ€ren. Das ist nĂ€mlich echt unglĂŒcklich, weil âŠâ
Gut. Das unglĂŒckliche Fluor also. Hat nur sieben Valenzelektronen, hĂ€tte aber liebend gern acht. Erschwert wird das Ganze dadurch, dass so Valenzelektronen nicht einfach so mir nichts, dir nichts in freier Wildbahn anzutreffen sind. Nein, die laufen nicht einfach so rum, in der Hoffnung, irgendeine Bindung eingehen zu können. Also Bindung eingehen schon, ja, daran sind sie sehr wohl interessiert. Bindungen zu wechseln, vielmehr. Aber so alleine, auf eigene Faust durch die Lande ziehen, das ist so ihre Sache nicht. Unter den Singles sind Valenzelektronen kaum anzutreffen, die gehen kaum auf Eroberungstour. Allerdings, wenn sichâs ergibt, dann wechseln sie schon mal die Bindung, die Beziehung.
Nein, das Fluor kann sich nicht einfach so ein frei herumlaufendes Valenzelektron schnappen und mit ihm und den ĂŒbrigen sieben – ein ganzer Harem! – glĂŒcklich werden. Nein, so funktioniert das nicht, erfahre ich.
âUnd wie wird das Fluor dann glĂŒcklich?â, frage ich interessiert und neugierig. âNa zum Beispiel, wenn da so ein Bor des Weges kommt!â, lĂ€sst mich der Zwölfer wissen. âBor? Das chemische Element? Das mit der Ordnungszahl 5?â, frage ich nach. âJa, genau das!â, antwortet der Zwölfer eifrig. Und erzĂ€hlt mir, dass das Bor angeblich drei Valenzektronen habe, mit denen es nichts anzufangen wisse. Jedenfalls könne es eines durchaus entbehren.
Also, wenn da so ein Bor des Weges kommt und dem Fluor begegnet, dann kommen die beiden ins Plaudern. Und das Fluor erzĂ€hlt dem Bor, wie unglĂŒcklich es ist. Weil ihm ein Valenzelektron fehle, wie es meint. Und das Bor, das scheint echt nĂ€chstenliebend zu sein. Denn ohne zu zögern, ohne groĂ nachzudenken, ĂŒberlĂ€sst es dem Fluor eins seiner Valenzelektronen. Richtig selbstlos ist es, das Bor. Dass es dann nur mehr zwei Valenzelektronen hat, das ist ihm egal, das nimmt es in Kauf. Hauptsache, das Fluor ist wieder glĂŒcklich. Denn dann stimmt die Chemie wieder. So wie hoffentlich auch beim Zwölfer in zwei Tagen. Dann ist er glĂŒcklich. So wie das Fluor. Wenn nur bloĂ das mit diesen ambivalenten Valenzelektronen klappt âŠ
© Andreas Trimmel 2023-05-07