Die junge Frau legt ihr Baby sachte in das Tragetuch und zieht ihre warme Winterjacke an. Der Hund wartet bereits. Es ist Zeit für seinen Abendspaziergang. Auf den Straßen sieht man wenige Menschen. Die meisten verbringen einen gemütlichen Abend in ihren wohlig warm beheizten Wohnungen. Die junge Frau lenkt wie immer, seit dem sie hier leben darf, ihren Schritt zum Park. Ein kalter Wind veranlasst sie, sich ihre Haube tiefer in die Stirn zu ziehen. Sie hält schützend eine Hand über das Köpfchen des Babys.
Plötzlich ertönt ein lauter Knall und mit donnerndem Getöse steigen Stichflammen wie Raketen in den nachtschwarzen Himmel auf. Den Hund ergreift Panik, er reißt sich mit einem kräftigen Ruck von der Leine los und stürmt in das nahe Wäldchen. Die junge Frau ruft den Namen ihres Vierbeiners und läuft ihm, so rasch es mit dem Baby im Tragetuch möglich ist, nach. Vielleicht braucht jemand Hilfe. An einer kleinen Lichtung stehen mehrere Gestalten rund um das immer noch bis in den Himmel loderte Lagerfeuer. Die mit Benzin gefüllte Bierdose war in der Glut explodiert.
Einer der Männer fängt den Hund ein. Langsam nähert sich die Frau. Die Männer wirken betrunken. Sie wanken und einer torkelt direkt an die junge Frau heran und schwenkt eine fast leere Schnapsflasche dicht vor ihrem Gesicht. Lallend bietet er ihr einen Schluck an. Alles in ihr sträubt sich, trotzdem grüßt sie freundlich und bittet, ihr den Hund zurückzugeben. Eine schrill lachende Gestalt nimmt die junge Frau bei den Schultern und versucht sie im Kreis zu drehen. Sie möchte tanzen. Das Baby beginnt leise zu wimmern. Erschrocken hält die Person inne. Ihr Gesichtsausdruck wird ganz weich und sie lässt von dem Ringelrei ab. Zärtlich streicht sie mit ihren zerschlissenen Handschuhen über die Jackenwölbung der jungen Mutter. Ihre düsteren Begleiter umzingeln die beiden Frauen, um einen Blick auf das Kind zu werfen. In der Ferne hört man die Sirenen eines Rettungswagens, begleitet vom Folgetonhorn eines Polizeiautos. Unwillkürlich suchen die Männer Deckung hinter den umliegenden Bäumen. Das Baby weint. Die junge Frau steht alleine vor dem mittlerweile herunter gebrannten Feuer. Sie bewegt gleichmäßig ihren Körper, um das Baby in den Schlaf zu schaukeln. Nach ein paar Minuten beginnt sie leise ein Wiegenlied zu singen. Einer nach dem Anderen tritt wieder aus der Dunkelheit heraus und nähert sich dem Feuer. Sie stehen im Kreis und lauschen dem lieblichen Gesang. Die Worte verstehen sie nicht, die Sprache ist ihnen unbekannt. Die fremdländische Melodie beruhigt nicht nur das Baby. Die Gruppe lauscht andächtig. Ihre Gedanken schweifen in die Stille der Nacht. Sie träumen von früher, von Weihnachten im Kreise ihrer Familien. Die junge Frau wünscht sich Frieden in ihrer Heimat, Sicherheit für sie und ihr Kind. Das Feuer brennt langsam nieder. Die Herzen öffnen sich für die wärmende Flamme der Liebe. Sie nährt die Hoffnung und schenkt den Glauben an eine bessere Zukunft.
© Christa Weißmayer 2022-12-20