Das Weihnachtsstern-Dilemma

P-Hildegardsen

von P-Hildegardsen

Story

Nun ist sie also da. Diese ruhige, besinnliche Vorweihnachtszeit. Wobei – ruhig? Nicht wirklich. Und bei mir kommt auch weder Be- noch Sinn- oder Sinnlichkeit an. Es ist einfach jedes Jahr hektisch und stressig. Egal was ich mir auch vornehme. Und wie sehr ich mich bemühe. Es strudelt mich immer wieder. Damit bin ich nicht alleine. Und damit es im Dezember also nicht gar so eng wird, gehen immer mehr Menschen dazu über, gewisse Einladungen in den November vorzuverlegen. Ist auch keine Kunst, denn Weihnachtsdeko gibt es in den Supermärkten seit Ende August. Die Weihnachtsmarktstandeln stehen auch schon, ebenso hängt die Straßenbeleuchtung. Punsch wird bereits ausgeschenkt und Supersonderangebote purzeln im Stakkato.

Ich bin eingeladen. Und die richtige „kleine Aufmerksamkeit“ gilt es nun auszuwählen. Lieber keine Schokolade, weil abnehmwillige Gastgeberin, ein Familienmitglied hat Glutenunverträglichkeit und außerdem gibt es eh bald die Weihnachtskekse bis zum Erbrechen. Alkohol sollte es auch nicht sein, weil die Familie bekannterweise beim Lions-Stand Ausschankdienste hat. Da braucht’s nicht noch was dazu. Schnittblumen um diese Jahreszeit kommen mir ein bißl arg fremd vor. Also denke ich an ein hübsches jahreszeitlich passendes Gesteck oder an einen Blumentopf. Und so bin ich im Blumenladen und lasse meinen Blick schweifen. Da höre ich aus einer Ecke eine hellgrelle Stimme. Und denke sofort an Birgit S. Und tatsächlich die Dame ist blond, nicht mehr taufrisch, dafür dicht make-up-isiert. „Ach ist dieser Weihnachtsstern wunderbar. Diese tiefrote Farbe! Königlich-elegant. Wie Samt. Nein also, so extrem schön!“

Ich denke mir, daß der fast besungene Weihnachtsstern jetzt wohl noch röter geworden sein muß. Vor lauter Freude über soviel Schwärmerei. Die Verkäuferin nimmt den Blumentopf in die Hand und fragt die Blondine, ob sie ihn einpacken soll. Daraufhin die Dame entrüstet: „Ich nehm‘ doch keinen roten Weihnachtsstern. Den hat doch schon jeder. Nein, ich will einen marmorierten. In Rosé mit Weiß. Oder gibt es statt Rosa auch Orange? Es muß einfach etwas besonders auffallendes sein. Schließlich schenke ich den Stock ja nicht irgendwem …“ So geht es noch eine Weile dahin, bis wir Kunden alle wissen, wer von der besagten Dame heute am Abend heimgesucht wird.

Ich hatte mich mittlerweile für einen sehr schönen über und über knospenden Weihnachtskaktus entschieden, komme aber nicht dazu, daß ich den bezahlen kann. Denn die Blondine lamentiert sehr hörbar herum, welche Schande es doch wäre, daß man in diesem Blumengeschäft nur die simplen roten Weihnachtssterne habe. Es wäre einfach viel zu mühsam, einkaufen zu gehen. Und es arte in solchen Stress aus. Mein Mitleid will nicht so recht in Fahrt kommen und der Teufel reitet mich. Also verlange ich auch den „prächtigen roten“ Weihnachtsstern – „um einer anständigen Familie Freude zu bereiten“. Auch wenn sie kurz still war – ich glaube kapiert hat sie es nicht.

© P-Hildegardsen 2019-11-14

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