Das Wiedersehen

Lilli W

von Lilli W

Story
Wald

Die Abendsonne färbte den Himmel lila und brachte den tiefen Schnee zum funkeln. Der kleine Tümpel zwischen den verschneiten Bäumen war bereits zugefroren und von dem frischen Schnee verdeckt. Um mich herum war es still geworden. Der Lärm der Großstadt war verschwunden und stattdessen konnte man nur noch dem Knarren der Bäume im Wind lauschen. Nicht einmal ein Vogel hatte sich bei dieser Kälte in den Wald verirrt. 

Ich schreckte auf als ich das leise Knirschen von Schuhen im Schnee hörte. Sofort begann mein Herz schneller zu schlagen und Vorfreude kam in mir auf. Lächelnd starrte ich der bekannten Person, am anderen Ende des Weges, entgegen und konnte es kaum erwarten sie in meine Arme zu schließen. 

Monate hatten wir uns nicht mehr gesehen und so wuchs die Aufregung und Neugierde mit jedem Schritt. Das Sonnenlicht fiel mir ins Gesicht, wärmte meinen kühlen Körper und ließ mich vergessen, dass ich den grauen Winter verabscheute. Die Ruhe um uns herum löste sich allmählich auf, desto näher er mir kam.


Es schien als bräuchte es Stunden bis er endlich vor mir stehen würde. Irgendwann konnte ich es nicht mehr aushalten und lief ungeduldig auf ihn zu. Tiefer in den dichten Wald hinein und näher zu ihm. Meine Schritte waren groß und schnell, doch umso näher wir uns kamen, desto langsamer wurde ich. Die Sonne verschwand im selben Moment hinter den schwarzen Wolken, wie mein Lächeln. Dunkelheit zog über den kahlen Wald.

Misstrauen kam in mir auf, als ich seinen versteinerten Gesichtsausdruck erkannte. Ich war davon ausgegangen, dass dieses Etwas, über das er mit mir sprechen wollte, etwas Gutes sein würde. Dass er endlich zurückkommen und bei mir bleiben würde. Doch jetzt wo er mir plötzlich so ausdruckslos gegenüber stand, fing ich an zu zweifeln und spürte, wie sich meine Aufregung in Angst verwandelte. Es wurde kalt und dunkel um uns herum. Eisiger Wind strich über unsere kalten Gesichter und brachte mich zum Frösteln. 

Was war mit seinen Augen passiert? Als würde er etwas verheimlichen waren sie leer, kalt und ausdruckslos geworden. Wie zufällig trafen sich unsere Blicke. Nur einen Moment lang ließ er diesen Blickkontakt zu. Schnell richtete er seine Augen wieder starr zu Boden und versuchte dem unausgesprochenen Problem auszuweichen. Wie eine schwere, unüberwindbare Mauer stand es zwischen uns und brachte uns zum Schweigen. Nicht einmal zu einer Umarmung hatte er sich durchringen können. Bei diesem Anblick könnte man fast meinen wir wären nie mehr als Fremde gewesen. Schließlich standen wir uns so nah, dass ich seinen warmen Atem auf meiner kühlen Haut spüren konnte. In diesem Moment wurde mir klar, dass wir einander nie wirklich gekannt hatten.

© Lilli W 2023-07-25

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Romane & Erzählungen
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