von Anouk Majerus
Lena saß gedankenverloren in einem kleinen Café und beobachtete den Trubel der Stadt. Ihr Kaffee stand unberührt am Tisch und dampfte vor sich hin. Erneut hatte sie sich von der Welt zurückgezogen, ihr Handy ausgeschaltet und sich an ihren Rückzugsort geflüchtet. Endlich hatte sie mal Zeit durchzuatmen und nachzudenken. Sie war immer für alle anderen da, stets erreichbar, immer zur Stelle und konnte nie Nein sagen. Sie war immer bereit alles zu geben, auch wenn sie ihre Grenzen dabei deutlich überschritt. Nun fühlte sie sich leer und ausgebrannt.
Es war der Kommentar einer Freundin, die das Fass zum Überlaufen gebrachte. „Wieso hast du immer so viel zu tun? Übertreibst du da nicht etwas? Du nimmst dir auch nie Zeit für mich. Das nervt.“ Lena hatte sich vor einem Monat mit ihr getroffen und ihr versucht zu erklären, wieso sie so wenig Zeit habe. Dazu hatten sie viel telefoniert, da ihre Freundin jedes ach so kleine Problem mit ihr bereden musste. Ihr wurde klar sie hatte sich selbst verloren.
Lena konnte es nicht länger ignorieren. Sie musste etwas ändern und das dringend. Doch dieser Gedanke macht ihr Angst. Was, wenn die Menschen um sie herum sie dann verlassen würden? Was, wenn dann niemand mehr sie mochte und sie dann ganz alleine wäre? Doch tief in ihrem Inneren wusste sie, dass sie etwas ändern musste! Es gab keinen anderen Weg. Entschlossen meldete sie sich zu einem Kunstkurs an, den sie schon immer mal besuchen wollte. Sie versuchte ihre Tage mit Dingen zu füllen, die ihr Freude bereiteten.
Zweifel nagten jedoch an Lena. Als sie ihrem Freundeskreis mitteilte, dass sie Zeit für sich bräuchte, reagierten viele nicht positiv darauf. Dies versetzte ihr einen Stich, doch sie blieb standhaft. Sie wusste, dass sie sich selbst erst wiederfinden müsse, bevor sie jemandem etwas geben könne.
Mit der Zeit nahm Lena eine Veränderung in sich wahr. Sie traf neue Menschen, entdeckte neue Leidenschaften und baute eine stärkere Beziehung zu sich selbst auf. Es gab dennoch auch Rückschläge, Zweifel und Momente der Einsamkeit, aber Lena wusste, dass dies ein Teil des Prozesses sei.
Irgendwann als sie wieder in ihrem Lieblingscafé saß, wurde ihr auf einen Schlag bewusst wie viel sich verändert hatte. Sie war viel ruhiger geworden und fühlte sich nicht mehr so ausgelaugt. Sie war bei sich, anstatt gedanklich bei allen anderen. Sie hatte es geschafft zu sich selbst zurückzufinden und um dies festzuhalten, schrieb sie groß in ihr Notizbuch: DAS ZENTRUM MEINES LEBENS BIN ICH UND DAS IST IN ORDNUNG SO, DENN DAS SOLLTE SO SEIN.
© Anouk Majerus 2024-07-09