Das zweite andere Baby

Beate-Luise

von Beate-Luise

Story

Mein erstes Kind, ein Mädchen, erblickte 1997 das Licht der Welt. Sieben Jahre später mein Sohn. Schon schwanger mit ihm, bekam ich ein zweites Baby. Vom ersten Tag an war es beflügelnd, inspirierend, verstörend, betörend. Kind 1 und Kind 3 haben es immer ohne Eifersüchteleien akzeptiert. Nr. 2 ist Teil meines Lebens, ebenso wie sie.

Eine Rabenmutter mit Doppelleben bin ich nicht. Aber ich bin verliebt in die Literatur, in Bücher und in das Lesen. Diese Liebe wollte ich mit anderen Menschen teilen, damit sie noch größer und schöner wird. Deshalb gründete ich 2004 einen Literaturkreis. Ein grandioses Projekt, wie sich seither viermal pro Jahr zeigt.

Das Konzept ist alltagstauglich und unambitioniert. Jeder, der das vorgeschlagene Buch gelesen hat, ist willkommen – Freunde, Nachbarn, Kollegen – nur leseaffin muss man sein. In den ersten Jahren sprachen wir nur über Erzählbände einzelner Autoren, in der Annahme, dass diese Vielfalt mehr Gesprächsstoff bieten würde als ein Roman. Dann kann auch mitreden, wer nur einzelne Geschichten gelesen hat. Ein Fragebogen schafft zu Beginn des Abends ein Meinungsbild als Diskussionsgrundlage. Es gibt Häppchen und Wein, während wir das Buch und unsere Auffassungen darüber diskutieren. Mal hitzig-kontrovers, mal verhalten in vorläufigem Unverständnis, mal sehr persönlich.

Interessante Konstellationen von wechselnden Teilnehmern kristallisierten sich über die Jahre heraus: stille, dominante, ich-bezogene, intellektuelle, streitlustige, rhetorisch versierte und unversierte, wissende und zurückgenommene. Seit drei Jahren sind wir (unbeabsichtigt) ausschließlich Frauen, was einige als Mangel, andere als entspannend empfinden. Und wir lesen nur noch Romane, was ich persönlich bedaure.

In jener Zeit fiel mir auch auf, dass Künstler (ob bildende oder darstellende, Musiker oder Schriftsteller) überwiegend männlich sind. Echt wahr – schaut selbst mal in euer Bücherregal oder eure Plattensammlung und zählt männliche und weibliche Autoren! Im Feuilleton rezensieren mehrheitlich Männer Bücher von männlichen Autoren. Auch die bisherige Buchliste unserer Runde spiegelte dieses ungleiche Verhältnis 1 : 3 (weibliche und männliche Autoren). Deshalb rücken wir inzwischen Romane von Frauen mehr in den Fokus. Dabei wird meine Nachbarin A. nicht müde zu betonen, dass wir KEIN Feministinnenzirkel sind.

Am Ende eines Abends suchen wir ein Buch für den nächsten Termin aus, meistens Werke, die wir allein zum Vergnügen eher nicht lesen würden. Es kommt also vor, dass eine Lektüre auch Anstrengung erfordert. Doch der Austausch darüber eröffnet die kontroversesten Facetten, also neue Welten! In Büchern, die einigen zunächst vielleicht trocken oder hermetisch scheinen, entdecken wir durch die Augen der anderen ungeahnte Aspekte, wie Diamanten. Jeder Abend ist anders und immer beglückend.

Dieses „andere Kind“ – inzwischen ein Teenager – macht mein Leben reich!

© Beate-Luise 2020-05-10

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