Dieser Satz trifft wahrscheinlich auf die meisten Menschen zu, da ich noch nie auch nur eine einzige Person sagen hören habe, dass sie Sonnenuntergänge nicht mag. Doch du meintest es auf einer viel tieferen Ebene. Du sagtest, es löst in dir eine unendliche Ruhe aus, wenn du siehst, dass jeder Tag mit warmen bunten Tagen endet und das Versprechen bestehen bleibt, dass sich das auch niemals ändern wird. Vielleicht sieht man es nicht immer von dem Standort aus, an dem wir uns gerade befinden, aber der Sonnenuntergang bleibt. Irgendwo auf der Welt ist immer Sonnenuntergang und du hast mir erklärt, dass du deswegen daran glaubst, dass alles im Leben einmal gut enden wird, dass wir alle einmal unseren Sonnenuntergang haben werden und in sanften Tönen zurückbleiben. Töne, an die man sich jeden Tag erneut erinnern wird.
Dann erklärst du, wie du manchmal darüber nachdenkst, dass Sonnenuntergänge zu viel und zu wenig Beachtung gleichzeitig erhalten. Mit zu viel meintest du den hundertsten Instagram-Post, auf dem irgendein pseudopoetisches Zitat steht und der Moment eingefangen, aber in einem Bruchteil von Sekunden schon wieder vergessen wird. Wir beide mussten darüber lachen, dass du das sagtest, da wir beide ganz genau wussten, dass wir eine solche Art von Posts selber schon unzählige Male gemacht hatten. Denn ein Sonnenuntergang ist eine Form von Schönheit, die fast jeder versteht und kaum hinterfragt, weil es nichts an dieser Schönheit zu hinterfragen gibt. Du warst der Meinung, dass es eigentlich eine Tragödie ist, den kurzen Moment des Sonnenuntergangs zu verschwenden, indem man Fotos von ihm machte. Es war wertvoller für dich, für eine Weile einfach nur dazusitzen und dich daran zu erinnern, wie schön Dinge enden konnten und wie klein du dich in diesem Augenblick fühlst, wenn der Himmel jeden Tag dazu bereit war, solch ein Spektakel zu erzeugen.
Auf der anderen Seite störte es dich, dass so viele Menschen jeden Tag den Sonnenuntergang ignorierten und ihn viel zu selten sahen. Nicht nur deshalb, weil er bei uns eben nicht jeden Tag stark zu beobachten war, sondern besonders deswegen, weil oft die Zeit dazu fehlte, sich einer Sache zu widmen, bei der man wusste, dass sie irgendwie immer da war und da sein würde. Du wusstest, dass es für viele einfach nichts Besonderes war und für andere die Welt bedeutete, weil es diese Erinnerung brauchte. Die Erinnerung daran, dass es wundervoll war, auch den Enden von Dingen Aufmerksamkeit zu geben, fehlte manchmal. Denn Enden sind meist mit unendlicher Traurigkeit verbunden, aber in diesen Enden kann so viel Wertschätzung stecken. Wertschätzung dafür, was wir hatten, was wir haben und was wir haben werden.
Nachdem du all das ausgesprochen hattest, verging gerade genug Zeit, dass die Sonne anfing, unterzugehen. Und so saßen wir eine Weile da, beobachteten all die Farben, die Sonne, die sich immer weiter senkte und schlussendlich den leisen Abschied des Tages. Am Ende des Sonnenuntergangs wandte sich dein Blick kurz von ihm ab und du schautest mich mit Tränen in den Augen an. Es stellte sich heraus, dass du es zwar liebtest, all das zu sehen, aber die ganze Zeit nicht nur den Sonnenuntergang mit deinen Worten meintest.
© Friederike Müller 2025-08-28