dating in 2023

Nach einer halb durchzechten Nacht, die ich mit Herzklopfen und einer Handvoll schöner Männer verbracht habe, sitze ich viel zu früh an einem kühlen Sommermorgen im Juli in meinem Bett und schreibe. Nun könnte man meinen, dass ich eine Draufgängerin bin, die ihr Leben in vollsten Zügen genießt und diesen Sommer zu ihrem Sommer macht. Doch die Realität sieht anders aus.
Es stimmt, ich habe nicht viel geschlafen. Ich hatte mich nämlich gestern (trotz besseren Wissens und vieler negativer Erfahrungen in der Vergangenheit) während des Krankenhausbesuches bei meinem Großvater dazu entschieden einen großen Cappuccino gegen meine immerwährende Müdigkeit zu trinken — obwohl ich kein Koffein vertrage und es mir massives Herzklopfen bereitet. Und die Handvoll schöner Männer, wobei schön Auslegungssache ist? Nun ja, die habe ich online gesehen, während ich abends u. a. durch Tinder swipete und mit mäßigem Erfolg versuchte wenig anregende Gespräche zu führen, um mich und meinen koffeingetriebenen Puls zu beruhigen. Es war demnach ein Samstagabend, den ich nicht so schnell vergessen und auch nicht so schnell wiederholen werde.
Doch wenn ich ehrlich bin (und das bin ich immer) ging mir noch anderes durch den Kopf, v. a. die drei Männer, die unlängst verschwanden. Consti, Elias und Dominik. Einfach weg. Consti hörte sich dutzende meiner Podcastfolgen an und erklärte mir letzte Woche, wie interessant er mich finde, bevor er einfach unser Match auflöste, nachdem ich ihn fragte, ob wir es noch einmal mit einem Videocall probieren sollten. Elias verschwand vor 2 Tagen pünktlich zu unserem Date um 19:15 Uhr aus meiner Liste an Matches und ließ mich in der leicht bewölkten Frankfurter Innenstadt stehen, wo ich auf ihn wartete. Und Dominik nahm sich wenigstens nicht ganz so viel Zeit, sondern entschied sich den Kontakt einen Tag vor unserem Date ohne ein Wort abzubrechen, nachdem er mir diverse Komplimente gemacht hatte (u. a. zu meinem Schreibstil). 
Das ist nicht das erste Mal, dass mir so etwas passiert ist. Denn auch Dustin und Tobi wurden zu Geistern, allerdings nach mehreren Dates, was zugegebenermaßen schwerer zu verkraften war. Und wie ich die Welt des Onlinedatings nach mittlerweile fast zweieinhalb Jahren kennengelernt habe, war das auch nicht das letzte Mal, dass mich jemand aus heiterem Himmel ohne Vorwarnung entmatcht. Daher bin ich nicht sicher, ob ich noch weiterhin Energie, Zeit und auch immer ein bisschen Herzblut in die Angelegenheit stecken sollte. Auch frage ich mich, ob mir das alles nur passiert, weil ich dieses eine Mal vor ca. 4 Jahren ebenfalls jemanden ghostete, indem ich einen (zugegebenermaßen aufdringlichen) jungen Mann einfach on read ließ. Karma is angeblich a bitch, aber reicht es nicht auch irgendwann? 
Aus dieser Stimmung heraus habe ich mich dazu entschlossen meine Erfahrungen in diesem Buch festzuhalten. Als ich meiner Mutter den Titel zeigte, las sie zunächst „Macht?“ und je länger ich darüber nachdenke, desto passender erscheint mir diese Lesart. Ja, wenn jemand geht und sich ohne ein Wort von einem abwendet, fühlt sich das sehr danach an, dass er seine Macht missbraucht. Der andere hat die Oberhand, denn er entzieht seine Zuneigung und Aufmerksamkeit, während man selbst zurückbleibt, manchmal mit gebrochenem Herzen, manchmal mit ein wenig Wehmut und manchmal mit Erleichterung im Gepäck, aber unterlegen fühlt man sich dennoch. Lohnt sich also das Swipen und Matchen überhaupt? Lass uns das gemeinsam herausfinden.