von So_Yellow_
„Warst du schon mal auf einer Dating-Seite?“, will meine Freundin wissen. „Natürlich!“, strahle ich wegen des erfreulichen Themas. „Das war total toll, sag´ ich dir. Willst du die Geschichte hören?“ Sie nickt und ahnt nicht, dass es weder krasse Storys noch sonst was gibt. Ich könnte natürlich auch so Bücher füllen, aber wahrscheinlich wären diese eher zum Gähnen. Denn es war so:
„Nachdem ich einen Tag Single war, beschloss ich, mich sofort auf einer Datingseite anzumelden. Nicht, um mich gleich wieder in irgendetwas rein zu stürzen, sondern um das endlich mal zu testen. Ich hatte schon so viel gehört! Spannende Sachen. Schlimme Sachen. Chaos aber auch Liebe.
Auf der Seite, für die ich mich entschied, wurden 100 Fragen gestellt. Ich hab 99 ausführlich beantwortet. Aus diesen ganzen Antworten ging letztlich hervor, dass ich Feministin bin, nicht krumm angequatscht werden will und eigentlich auf der Suche nach Freundschaft bin und dass man dann „immer noch gucken kann“. Außerdem habe ich ein Problem mit meinen Haaren und hab noch nie im Leben hohe Schuhe getragen und werde es auch nicht tun. Ich steh’ weder auf dieses, noch auf jenes und letztens hab ich das und das als schön empfunden. Schönstes Foto der Welt hochgeladen und ab geht’s auf den Transfermarkt der Liebe mit mir.
Gleich am Abend habe ich mit fünf Männern geschrieben. Und die waren so verdammt nett und kamen alle aus meiner Stadt. Mit einem habe ich mich zwei Tage später sogar getroffen. Er ist mir leider mit dem Rad davon gefahren, aber das ist eine andere Geschichte. Dann hab ich dort einen Ex-Freund getroffen. „Krass! Wie gehts? Was macht die Liebe – haha!“. „Läuft. Nicht. Und bei Dir? Haha.“ Der zählt auch nicht. Drei nette Männer sind also geblieben. Drei Männer, die tatsächlich meine 99 Antworten gelesen hatten. Lesende Menschen bevorzuge ich ja eh. Der eine war Tischler und hat mir Bilder von seiner Werkstatt gezeigt und wir haben uns über die besten Holzsorten für Flitzebögen ausgetauscht. Mit ihm habe ich mich am liebsten ausgetauscht, weil wir auch so die gleichen Themen hatten. Aber dann, nach fünf Tagen, in denen ich mit drei verschiedenen Männern geschrieben habe, war ich so ausgelaugt und übersättigt von den schriftlichen Dialogen, dass ich mich von allen mit netten Worten verabschiedet habe. In etwa so: „Du bist der beste Tischlertyp der Welt und es bringt absolut Spaß mit Dir zu schreiben, aber ich merke, dass ich in der analogen Welt besser aufgehoben bin. Alles, alles Liebe und Gute für Dich.“ Und dann habe ich mein Profil gelöscht. Aber ich sag´ Dir, es war toll! Weil ich jetzt weiß, dass es für mich funktionieren würde. Die Welt ist doch gar nicht so grau und verkorkst. Jedenfalls nicht auf den zweiten Blick.“
Meine Freundin guckt auf ihr Handy. „Mach doch!“ ermuntere ich sie. „Aber steh dazu, dass du Feministin bist. Machos und blöde Sprüche doof findest und Vegetarier aus Prinzip schon nett. Dann kannst Du schon mal gut aussortieren.“ Wir grinsen uns an, als sich ein Fenster öffnet, dass 100 Dinge von meiner Freundin wissen will.
So war das mit der Datingseite also. Aber meinen Freund: habe ich mir dann tatsächlich im analogen Leben gesucht. Schließlich ist es noch schöner, Fragen und Antworten im realen Leben zu erkunden.
© So_Yellow_ 2023-04-29