Deadline

Laura Brandl

von Laura Brandl

Story

Ich lebe da so einsam mit einem Kopf voll Fantasien, mal in Richtung fahle Decke, mal unter strömenden warmen Duschregen, mal aus dem offenen Fenster blickend, in dessen Wimmelbild die mittig stehende Ampel gerade von rot auf grün wechselt. Das Ziffernblatt meiner Uhr verrät mir, dass schon wieder 70 unproduktive Minuten verstrichen sind. Ein tiefer ernst gemeinter jedoch von jeder Überzeugung verlassener Atemzug entpuppt sich als gescheiterter Startschuss für jeglichen Schaffensdrang. Ein jeder einzelne mit einer Zahl versehener Tag ist ein Unikat, welcher nach Tagesende von unseren Entscheidungen geprägt ist und genau so in die Geschichte unseres Lebens eingeht. Ein jeder trägt sein Geschichtsbuch bei sich. Manche Parts können wir auswendig, einige Stellen sind zensiert, viele neugeschrieben. Gewisse Menschen halten nicht viel von Schlussstrichen, andere stürzen sich gern in ein neues Kapitel. Während eine überschaubare Zahl ganz darauf verzichtet, werden bei der Mehrheit die elendslangen Textpassagen durch dazu passendes Bildmaterial begleitet. Hierbei heben sich die Mensch-zeigenden Bilder von den Welt-zeigenden Bilder ab. Auch unterscheiden sich die Geschichtsbücher durch ihr Volumen, wohingegen manche ganze Bücherbände auf ihren krummen Rücken mittragen, gibt es auch Heftchen, die an die gelben Reclam-Hefte erinnern. Je schneller Geschichtsbücher altern, desto größere Sorgfältigkeit ist geboten, um lose Blätter und die darauf verfassten Geschichten vorm Verschwinden zu hüten. Obzwar die meisten wegen Willens- und Handlungsfreiheit an ihrer Geschichte hadern, setzen sich bestimmte Bücher aus Lückentexten zusammen, in denen einfach nur ein Name eingetragen wird. Manche widmen ihr ganzes Manifest nur dem Ende, andere enden inmitten eines Satzes.

So vollkommen verschiedenartig uns diese Sammlung an Geschichtsbüchern auch vorkommt, ist ihr kleinster gemeinsamer Nenner doch mit bloßem Auge erkennbar. Ob in dicker oder dünner, bunter oder schwarz-weißer, verschnörkelter oder in kruder Form uns ein Geschichtsbuch präsentiert wird, können wir davon ausgehen, dass sein Protagonist nicht umsonst diese Entscheidungen getroffen hat.

Dergleichen fühlt sich jede Entscheidung oder Gestaltung eines Tages für mich an, als müsse die Qualität meines Geschichtsbuchs darunter leiden, würde ich der geschenkten Zeit nicht das Ausschöpfen meiner geschenkten Fähigkeiten widmen. Oft habe ich dabei zwei Zitate vor Augen: „Wie herrlich es ist, dass niemand auch nur eine einzige Minute zu warten braucht, um damit zu beginnen, die Welt zu verändern.“ und „Wie schön und gut wären alle Menschen, wenn sie sich jeden Abend die Ereignisse des Tages vor Augen riefen und prüften, was an ihrem eigenen Verhalten gut und was schlecht gewesen ist.“ – Anne Frank

© Laura Brandl 2021-02-23

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