von MissReveuse
„Also-“ will Malika gerade ausholen. Aber er unterbricht sie, aus dem Nichts heraus und doch so als hätte er auf diesen Augenblick gewartet.
„Erzähl mir von deiner größten Angst“, kommt ruhig, aber mit Nachdruck. Seine Aufforderung bleibt für den Moment ihrer Verwunderung stehen, wird von seinem durchdringenden Blick unterstrichen. Will er damit die Ernsthaftigkeit seiner Frage demonstrieren, oder sie nur aus der Reserve locken?
Sie prüft seine Züge. Versucht seine Mimik, den Gesichtsausdruck, scannend zu deuten. Kann aber nichts ableiten. Abrupter Themenwechsel. Na gut, sie entscheidet mitzuziehen. Atmet nochmal ein und antwortet dann bedacht.
„Also weißt du, das mit der Angst ist ein Teufelskreis… Die Angst vor der Angst an sich kann einen ja schon fertig machen. Aber sie ist auch notwendig. Der Preis für ein angstloses Leben wäre nicht vorstellbar. Sie bewahrt uns ja auch.“
Sie zögert kurz, fährt dann sicherer fort. „Zuviel Vorsicht führt dazu nichts mehr zu versuchen. Zuviel Anpassung aber nur zu Gleichheit. Der Preis dafür ist Langeweile, bis hin zum Sinnesverlust… Der Preis für Exzentrik wiederum ist Einsamkeit. Und Rausch, Höhenflüge, werden nur abgelöst vom früher oder später obligatorisch folgenden Fall – bis man glaubt alles wieder verloren zu haben.“
Ohne hinzusehen, weiß sie Walter hört genau zu, wird nichts entgegnen.
„Letztlich ist meine größte Angst wohl für alles einen Preis bezahlen zu müssen. Euphorie mit Leere. Suche mit einem – sich bei jedem Schritt verdichtenden – Labyrinth. In dem man nur verloren gehen oder verrückt werden kann. Dann sind Erkenntnis und Verstehen erst recht wieder weg. Vielleicht ist verloren gehen ja auch dasselbe wie verrückt werden…“
„Hm, gäbe sicher noch andere treffende Vergleiche, denkst du nicht?“ hakt er sanfter nach.
“Na ‘verrückt’ sagt sich so leicht. Aber kann von Ablehnung, bis hin zu einem augenzwinkernden Kompliment, alles bedeuten. Steckt nicht oft schon im ‘anders sein’ ein wenig dasselbe drin?“
Ein Schmunzeln seinerseits, doch kein Kommentar.
„Wenn ja, wäre es folglich auch Gegenstück der Norm. Aber wer kann entscheiden was normal ist, was erst genormt werden muss? Ist das überhaupt etwas anderes als eine Abgrenzung des vermeintlich so fremden, anderen? Oder vielleicht nur dessen, was man so nicht haben – sehen – sein will. Eine versuchte Auslagerung der Abgründe, Unerwünschtheiten, Ungereimtheiten? Wozu diese Kategorien? Und ist man in Bezug auf sich selbst nun Experte oder nur dazu verdammt voller blinder Flecken zu bleiben?“, sie stoppt kurz, um noch Schritt zu halten. Sucht die passende Verknüpfung.
„Bedeutet denn darüber nachzudenken schon von der Norm abzuweichen, Malika? Oder denkst du stellt sich irgendwo, zu irgendeinem Zeitpunkt, irgendwer vielleicht genau dieselbe Frage?“ kontert er verschmitzt.
„Puh, gut platziert!“, lacht sie anerkennend.
Und in der darauf folgenden Stille bleibt der Satz noch lange hängen.
© MissReveuse 2021-03-23