Deine Schwäche ist meine Schwäche

Carla K

von Carla K

Story

Es ist schwer, für dich, für mich. Für uns. Alle.

Nicht jeder kann es zeigen. Seine Gefühle, Schwächen und Ängste.

Es tut weh, dich weinen zu sehen. Dich verzweifeln zu sehen. Dich stark zu sehen.

Stärke, die du uns zeigst, obwohl alle genau wissen, wie viel Kraft dich diese Stärke kostet. Wie viele Tränen und Schluchzer du uns nicht zeigst, sondern sie auf die Nächte schiebst. Deine Ängste wegdrückst, bis du auch mit ihr allein bist. Bis wir dir nicht helfen können, und nur deine Angst dich umarmen kann. Denn dank Sicherheitsabstand und Ausgangsspeere darf sowieso nur sie dir grade nah kommen.

Deine Stärke zwar zu sehen, doch zu wissen, wie viel sie dich kostet, tut weh.

Es ist ein Gefühl von Hilflosigkeit tief in meiner Brust, welches mir von Zeit zu Zeit die Luft nimmt, sie weg schnürt und mich bangen lässt. Bangen darum, wie lange du all das noch aushalten musst, aushalten kannst, aushalten willst.

Es ist schwer, dich so zu sehen. Vor allem, wenn man weiß, wie es früher einmal war.

Um ehrlich zu sein, weiß ich gar nicht mehr ganz genau, wie es früher war. Und das macht das ganze noch schlimmer, und lässt mich noch verzweifelter an all der Zeit mit dir festhalten wollen. Ich bin für all das genauso wenig bereit wie du, denn ich bin doch immer noch ein Kind und du bist meine Oma.

Die mir in den dunkelsten Stunden meiner Angst, die Hand gereicht hat, um mich in ein Rettungsboot – umgeben von leuchtenden Laternen – zu ziehen.

Die mit mir zusammen verzweifelt ist. Allerdings nicht an einer unheilbaren Drecks-Krankheit, sondern an Mathe – Aufgaben aus der 3. Klasse.

Die zu mir gehalten hat, wenn ich mich von Mama und Papa unfair behandelt fühlte.

Die immer ihre Zeit für mich geopfert hat und vermutlich jede einzelne Sekunde davon genossen hat. Ich fühle mich schlecht, weil ich zu feige bin, jetzt das gleiche für dich zu tun.

Ich traue mich nicht, dir die Hand zu reichen, obwohl du Angst hast, weil ich an unserem früher festhalten will. Ich traue mich nicht, genau wegen dieser Drecks-Krankheit mit dir gemeinsam zu verzweifeln, weil ich zu schwach bin, dich schwach zu sehen.

Und ich traue mich nicht, mehr Zeit bei dir zu verbringen, obwohl ich eigentlich jede einzelne Sekunde mit dir zusammen genießen will. Ich habe Angst am Ende die unbeschwerten einfachen Erinnerungen verblassen zu lassen und stattdessen in diesem schweren erdrückendem Tränenmeer zu versenken. Ich will für dich da sein, doch muss ich zugeben: Ich habe Angst vor deiner Schwäche.


© Carla K 2023-08-31

Genres
Anthologien
Stimmung
Traurig
Hashtags