von Ingrid Kölbl
Straßenmusik.
Die einfühlsame Stimme gehört Juan. Wie so oft zur Mittagszeit verwandelt er den Plaza Central in eine Open-Air Bühne. Die Leute kommen gerne, lauschen seinen nostalgischen Liedern. Applaudieren. Wollen mehr hören. Juan singt von der verlorenen Liebe, von der unstillbaren Sehnsucht nach besseren aber längst vergangenen Zeiten. Ecuadorianische Folklore im Dreivierteltakt kann so eindringlich melancholisch und traurig klingen und ist doch Balsam für die Seele.
Balsam für jeden, der nach Quito kommt. Die Hauptstadt Ecuadors ist umgeben von Vulkanen mit exotisch klingenden Namen. Pinchincha, Cotopaxi, Chimborazo und Tungurahua. Die „Stadt des ewigen Frühlings“ liegt in einem Talbecken der Anden, im Nordwesten Südamerikas. Auf beinahe 3000 m. Quito – idyllisch für den Besucher. Herausfordernd für jeden, der aus Venezuela kommt, um hier dieses bessere Leben zu finden, von dem Juan auch in seinen Liedern erzählt.
Davon könnte auch Antonio singen. Mitte dreißig, kräftig gewachsen, dunkle Haare. Gepflegter Vollbart und meist ein Lächeln auf den Lippen.
»Manchmal komme ich hierher, um zu entspannen. Höre einfach nur zu und träume vor mich hin. Denke an früher. Und Abends? Abends gehe ich gerne tanzen. Mit meinen Freunden. Spaß haben. Und Frust abbauen.«
Seit knapp drei Jahren lebt Antonio nun in Quito. Fühlt sich heimisch, wie er sagt. Meist zumindest. Er kämpft jedoch, wie ein Großteil seiner Landsleute, mit Vorurteilen und Ablehnung.
Antonio stammt eigentlich aus Venezuela. Ein krisengebeuteltes Land. In den Augen vieler Ecuadorianer ist er damit ganz automatisch ein krimineller Schmarotzer. Einer, der gekommen ist, um Sozialleistungen abzukassieren. Einer, der faul ist und mit Schuld hat an der steigenden Kriminalität, an der wachsenden Armut im Land.
Ein Drittel der 17 Millionen Einwohner Ecuadors lebt unter der Armutsgrenze. Das alleine bietet Zündstoff. Die Menschen fühlen sich von der Regierung alleingelassen. Zurück gelassen. Besonders auch indigene Völkergruppen. Sie fordern lautstark mehr Gleichberechtigung, höhere Löhne. Bessere Bildungschancen. Antonio wusste, es würde schwierig werden in Ecuador. Und trotzdem hat er vor Jahren seine Heimat Venezuela verlassen, ist nach Quito gezogen.
»Zu der Zeit, als ich das Militär verließ, wurde es wirtschaftlich gesehen in meinem Land schwierig. Sehr kompliziert alles.«
Antonio ist, wie viele andere auch, legal über die Grenze nach Ecuador gekommen.
»Die Sache mit den Reisepässen und Geburtsurkunden war leicht. Alles war damals eine Sache des Geldes. Viele Leute haben sich so ihren legalen Status erkauft.«
© Ingrid Kölbl 2023-11-25