Denn immer wieder geht die Sonne auf

Sara

von Sara

Story

Der Wecker klingelt. Früh. Viel zu früh. Das Morgenmensch-Sein überlasse ich gerne anderen. Doch nochmal umdrehen und die Decke über den Kopf ziehen ist heute keine Option, denn: Der Berg ruft! Obwohl dieser eigentlich auch noch behütet in den Tiefen der Nacht verborgen liegt. Ich quäle mich aus den Bett und genehmige mir ein bescheidenes Frühstück, das die fehlenden Stunden Schlaf kompensieren soll. Funktioniert mäßig.

Eine verkehrsarme Stunde Fahrtzeit später komme ich beim Treffpunkt an. Zehn deutsche Touristen und zwei Wanderführer haben es ebenfalls so früh aus dem Bett geschafft und sind bereit, Dunkelheit und Berge zu bezwingen. Kurz vor 3 Uhr brechen wir im Gänsemarsch auf. Karl, einer der beiden rüstigen und leidenschaftlichen Wanderführer, gibt das Tempo vor. Nicht zu schnell soll es sein, damit jeder mithalten kann. „Es wird ohnehin kühl oben, schweißnass quält uns der Wind nur noch mehr“, erklärt er der motivierten Gruppe.

Ohne unsere Taschenlampen wäre die Nacht tiefschwarz. Nur der sternenbedeckte Himmel und die Nebelschwaden, die über dem Pustertal hängen und von einzelnen Nachtlichtern sanft erhellt werden, lenken die Aufmerksamkeit immer wieder auf sich. Gedankenverloren geht’s voran. Eine Kröte durchkreuzt den Weg. Na, auch schon wach? 

Heimlich taucht die fortschreitende Uhrzeit den finsteren Nachthimmel in ein dunkles Blau. Währenddessen unterhalte ich mich mit Karl. Er erzählt mir von zahlreichen Sonnenaufgängen, die er bereits bestaunen durfte. Und als wir an Höhe und damit an Aussicht gewinnen, kann er alle majestätischen Gipfel benennen, von denen wir plötzlich umgeben sind. Marmolata, Peitler Kofel, die Geisler … Die volle Dolomitenpracht ergibt sich unseren Augen. Selbst die Drei Zinnen sind von hier aus gut zu erkennen.  

Um 5.20 Uhr haben wir das Gipfelkreuz der Putzenhöhe erreicht. Kalter Wind bläst über das Gestein. Meine Finger werden kalt, der warme Tee wirkt nur bescheiden. Ich erinnere mich daran, wie ich die Sonntagswanderungen als Kind gehasst habe. Es hat gedauert, bis ich mich auf die Berge eingelassen und mich ihrer Faszination hingegeben habe. Doch mittlerweile kann ich mich nicht mehr an ihnen satt sehen und schätze jede Gelegenheit, die sich ergibt.

In zehn Minuten soll die Sonne aufgehen. Eigentlich. Sie nimmt es gemütlicher und versteckt sich bescheiden hinter einer zarten Wolkenwand. Die ersten Bergspitzen kleiden sich in blassem Rot. Zuerst die Marmolata, dann die Tofane. Um kurz vor 6 Uhr ist es soweit: In nur wenigen Sekunden kämpft sich der Feuerball durch die hartnäckigen Wolken und lässt nun auch unseren Gipfel blendend erstrahlen.

„Denn immer, immer wieder geht die Sonne auf“, singt Karl und lässt diesen Moment dadurch noch magischer wirken. Das Tal ertrinkt indes immer noch im Wolkenmeer, was den Blick von hier nur noch schöner macht. Deshalb bin ich heute also so früh aufgestanden. Nie war es lohnender. 

© Sara 2020-03-28

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