von Anja Gindra-Vady
Als ich in den Garten wankte, die Nacht in Schlieren hinter mir herziehend, hätte ich weinen können. Aber das Weinen hatte seine klärende Sinnhaftigkeit eingebüßt und ich entschied mich vehement dagegen. Unsicher betrat ich den Tag, halb noch im Schatten, im zwittrigen Zustand zwischen Traum und Realität.
Mein Freund hing so unfassbar schwer auf meinem Rücken, seine Finger noch immer schmerzhaft in meinen Schultern verkrallt, meine Lippen sperrten sich fest gegen die Wolke seines stinkenden Atems. Unmöglich zu erfühlen wo mein Körper endete und sein Leib begann.
Ich schleppte mich weiter hinaus, über den alten Weg ins kühle Gras. Es war noch sehr früh und das tiefe Morgenlicht blendete mich, blinzelnd traf mein Blick die hintere wilde Ecke im Garten – das kleine Stück naturbelassener Garten, ganz bewusst und mit viel Aufwand natürlich – und – belassen. Wobei der Rest des Gartens nicht gerade ein englischer war, ganz im Gegenteil. Niemand hätte das kleine Eck wohl als solches bemerkt, aber irgendwie war ich stolz darauf, oder: eher zufrieden damit. Kontrollierte und wohldosierte Wildnis, so sehr gehegt, dass man sie hier fast als einziges Kulturgut bezeichnen konnte.
Ich roch weiter hinein in meinen wunderbaren Garten, in die schwere Ruhe hinein. Nasse Erde, erdige Feuchte, Gras, und die langsam zum Leben erwachenden Blütenblätter, die sich den ersten Sonnenstrahlen entgegenreckten. Der erste richtig heiße Tag kündigte sich an, olfaktorisch bereits auferstanden und Gegenwart. Ein- und ausgeatmet, ein- und ausgeatmet. Rein damit! In meinen schweren und zersetzten Körper. Den gesamten Garten eingesogen und in seinen einzelnen Teilen an anderer Stelle in meinem Körper wieder zusammengesetzt.
Er war immer noch sehr schwer, aber den Versuch ihn abzuschütteln hatte ich aufgegeben, es war ein Kampf gegen Windmühlen – nur weniger erheiternd.
Mein Ziel elendiglich langsam aber zielstrebig anbahnend – ein Weg von ungefähr 20 Metern – war jeder Schritt Erleichterung und Anstrengung zugleich. Am Ende erreichten wir die Stelle mit dem drüsigen Springkraut. Keine Pflanze ist so gemein schmeichelnd und widerwärtig süß wie diese. Frühlingshafte Frische vortäuschend, kommt sie im süßen Sommerkleid daher um die Gunst des Riechenden bemüht, welcher sich gerne und unbekümmert hingibt um sogleich irritiert, etwas Weiteres, dahinter liegendes zu wittern. Gerade erst hineinkriechend und ehe man sich versieht, schon hineingesogen und mittendrin, plötzlich gewahr werdend – süßer und fauliger Verwesungsgeruch.
Dort angekommen und gerade im Begriff mich in den Sessel fallen zu lassen, lösten sich seine Krallen langsam, zaghaft, fast zärtlich, wie die Hand einer Geliebten, die im Fortgehen ein letztes Mal deine Schulter berührt, der Abschied und das nächste Wiedersehen darin schon gewiss.
Und der Alb stieg von mir ab, bĂĽckte sich, schloss seine Augen und roch verzĂĽckt an einer BlĂĽte des Krauts.
© Anja Gindra-Vady 2021-04-25