von Michael Stanic
Ein Lied singend kniete der alte Fischer Neno auf dem Deck seines betagten Kutters. Mit stoischer Ruhe ordnete er die, mit allerlei Fischresten des letzten Fangs belegten Netze. Den am Hafen vorbei kommenden Freunden berichtete er mit sichtlichem Stolz von der stürmischen Nacht in der wogenden See. Das von der Sonne gebräunte und zerfurchte Gesicht erinnerte mit seinen markigen Händen an die ebenso zerklüftete Karstlandschaft. Neben ihm verführte die klobige Korbflasche dazu sich und den Spaziergängern einen ordentlichen Schluck feurigen Rotweins zu gönnen. Bald verwandelte sich das redselige Ritual in ein Theater, in dem Neno Dramaturg und Schauspieler in einem war. Die „Eminenz“ der Fischergilde beeilte sich seiner schon bekannten Rolle gerecht zu werden. Ihn gut kennende Kinder dienten als seine Komparsen und umgaben die lachende Theatergemeinde. Die Mutigsten näherten sich alsbald unter dem Wasser von der Seeseite, lösten vorsichtig den Anker und tauchten wieder hinab. Das mittägliche Menetekel des allmählich driftenden Boots versank im grandiosen Gelächter der dörflichen Komödie. Als unser Seemann sein Schicksal begriff, setzte er zum turbulenten Finale an. Leidenschaftlich gestikulierend, die frechen Knaben – also uns – beschimpfend, schwor er Vergeltung. Der Stand am Fischmarkt blieb später leer und Neno verschenkte seine Beute an die am Markt vorbei gehenden Touristen. Genüsslich weilte er auf seinem „Thron“ im Café „Corso“, blickte grinsend zur Fischhalle hinüber und genoss seine verständliche Rache im Kreis der fröhlichen Freunde. Die mediterrane Sprachartistik aller Anwesenden fand mit der kampfbereiten „Donna furiosa“ ihren abrupten Höhepunkt. Es war seine Frau Kate, die Neno in seine Schranken wies und die restlichen Fische, wohl ihr Abendessen, in Gewahrsam nahm. Den traditionellen, aber dennoch sympathischen Geschlechterkampf beendete „La Mama“, wobei der so Düpierte ihre erwartete Aufruhr als Teil seines gewitzten Stücks verstand: „Una dolce vita“ in Dalmatien!
Am nächsten Tag schlenderte Neno etwas später an den Hafen, der größer als jener am Fluß Cetina ist. Guter Dinge las er die Zeitung, genoss den gebrachten Espresso und blickte gelegentlich auf das ruhige Meer. Plötzlich hielt ein edler Jaguar am Wasser, sein elegant wirkender Fahrer entstieg, um ein wenig zu gehen und sich umzusehen. Wie nicht anders zu erwarten begrüßte ihn Neno und verwickelte ihn ohne zu zögern in seine liebenswürdige“Komödiantik“. Als alle feststellten, das der Fremde noch Kroatisch sprach, entfesselten sich seine ungestümen „Wortwellen“. Den blassen Mann betrachtend erkannte Neno einen Schulfreund aus seiner Kindheit. Der „deutsche“ Jaguar Chauffeur hatte Dalmatien vor langer Zeit verlassen, um nun endlich wieder „Nachhause“ zu reisen, sich zu sonnen und auszuruhen, wie er selbstverliebt meinte. Neno erwiderte schmunzelnd: „Und was glaubst Du habe ich die ganze Zeit hier getan“?
© Michael Stanic 2020-01-19