Am Ende der Therapiestunde gab er mir einen Stein in die Hand, einen Halbedelstein mit Spitzen, Ecken und Kanten. Nicht besonders groß, aber sehr rau und kantig. In Violetttönen, mattiert. Ich staunte darüber. Was soll ich damit? Bevor ich diese in mir auftauchende Frage aussprechen konnte, kam mir mein Therapeut mit seinen Erklärungen zuvor. „Das ist dein Heilstein, ein Amethyst. Er wird heilende Wirkung auf dich ausüben, dir Ruhe und Entspannung bringen, deine Migräne lindern. Nimm ihn an dich, trage ihn bei dir, lege ihn unter deinen Kopfpolster. Sprich mit ihm! Aber verlieren darfst du ihn nicht.“ Da drängte sich mir die Frage auf: „Und warum darf ich den Stein nicht verlieren? Was würde passieren, wenn er mir doch eines Tages abhandenkommen würde?“ „Schlimm, sehr schlimm wäre das“, antwortete er in einem Ton, der mich einschüchterte und mich nicht weiter nachfragen ließ. Ich nahm den Stein an mich, nicht wirklich an seine Heilkraft glaubend. Und doch ein wenig. Ich erinnerte mich, dass mir meine Mutter, als ich 16 war, Ohrclips und einen Ring kaufte. Amethyst. Als Erwachsene kam ich einmal mit einer Schmuckdesignerin in Kontakt. Ich ließ mir von ihr eine Halskette anfertigen mit von mir ausgewählten Steinen. Amethyst und Rosenquarz. Noch heute ist sie meine Lieblingskette, die ich gern trage.
Ist der Amethyst vielleicht doch mein Glücksstein/Heilstein, den mir da mein Therapeut ohne ein Vorwissen bezüglich meiner Vorliebe für diesen Halbedelstein überreicht hatte? Ich weiß es nicht. Und die Farbe Violett liebte ich auch.
Ich fühlte mich in eine Zwischenwelt versetzt, Rationales vermischte sich mit Irrationalem. Scheinbar war mein Therapeut mit seinen therapeutischen Interventionen an seine Grenze gestoßen und machte nun den Versuch, mich mithilfe eines Steines zu heilen.
Ich trug den Stein nach Hause, bewahrte ihn sorgfältig auf, nahm ihn bei jedem Wohnungsumzug mit. Ob aus Autoritätsgläubigkeit, Angst vor den unbestimmten schlimmen Folgen eines eventuellen Verlustes oder aus Überzeugung von einer doch möglichen heilenden Wirkung, ich kann es nicht sagen.
Im Augenblick weiß ich nicht genau, wo er ist. Ich habe ihn vernachlässigt in den letzten Jahren. Heute fällt er mir wieder ein, warum auch immer. Ich werde mich in nächster Zeit seiner Existenz vergewissern. Ich brauche etwas Tröstliches, Stabiles, woran ich mich festhalten kann. Der Stein ist mir noch wichtig, ich spüre das, vielleicht auch deshalb, weil mich dieser Therapeut ein Stück auf meinem Lebensweg begleitet hat und ich gute Erinnerungen an ihn habe.
Und ich liebe Steine, die für mich Zeugen vergangener Zeiten sind und von einem Hauch von Ewigkeit umgeben sind.
Ich denke an die schönen endlosen Strandspaziergänge am Meer, Muscheln und Steine sammelnd mit einem Gefühl von Leichtigkeit, Freiheit und Lebensfreude. Das Rauschen der Wellen als beruhigende Begleitmusik im Ohr.
Es gibt vielleicht doch mehr zwischen Himmel und Erde.
© Ulrike Puckmayr-Pfeifer 2020-11-26