Der Angst-Bär und die Tupperdose

Mariella Hofer

von Mariella Hofer

Story

Emily und ihre Mutter suchten sich Plätze im Wartezimmer und fanden zwei leere Sitze zwischen einen Mann und einer jungen Frau. Der Mann hatte eine Glatze, eine Brille und trug ein Polohemd, doch was er in den Händen hielt interessierte Emily viel mehr: eine Tupperware-Dose. In den grell-gelben Deckel der Plastikbox waren winzig kleine Löcher gebohrt und innen sah man einen kleinen Schatten sich bewegen. Emily versuchte durch eines der Löcher zu spähen und sah, dass in der Dose eine kleine Eidechse war. Sie war wesentlich kleiner als die Bartagame. In einer Box, normalerweise für Käse oder Wurst gedacht. So absurd es aussah, es ergab Sinn. Der Mann konnte seine Echse kaum in einen Katzenkorb oder an die Hundeleine nehmen für den Arztbesuch.

Da ihre Neugierde auf der einen Seite gestillt war, wandte sich Emily der anderen Seite zu. Die Frau auf dieser Seite sah sehr hübsch aus, wie eine Elfe, dachte Emily. Sie war neugierig was für ein Tier so eine zierliche Person besitzen würde. Vielleicht Wellensittiche? Oder ein Nagetier? Die Dame wurde aufgerufen in die Ordination zu kommen und plötzlich sah Emily wie sich ein Schatten neben ihr bewegte. Sich auseinanderrollte und immer größer und größer wurde. Neben ihr stand auf einmal das größte und pelzigste Tier das Emily außerhalb eines Zoos je gesehen hatte. Es war fast so groß wie ein Bär und schwarz wie die Nacht. Dann drehte es den Kopf. Es war ein Hund!

Unglaublich. Ein Hund wie ein Bär! Ein paar Jahre später würde Emily erfahren, dass diese Hunderasse Neufundländer hieß, doch damals beschloss sie ihn den Bärenhund zu nennen. Als die Besitzerin des Hundes aufstand, sah man den Größenunterschied erst deutlich. Der Bärenhund reichte der kleinen Frau fast bis zum Bauchnabel. Wie ging sie nur mit so einem großen Hund spazieren? Oder ritt sie auf ihm wie auf einem Pferd? Dieser Gedanke brachte Emily zum Kichern. Doch nur so lange, bis sie das traurigste Winseln überhaupt hörte. Der Bärenhund fand den Tierarztbesuch gar nicht witzig. Er sträubte sich auch nur eine Pfote in die Ordination zu setzen. Doch durch seine immense Größe konnte man ihn nicht einfach hineintragen. Somit bot sich dem Wartesaal das eigentümliche Bild, wie eine feenhafte, kleine Frau einen quietschenden Bären vor sich her in den Behandlungssaal schob wie einen felligen Felsen. So ein großes Tier und so ein großer Angsthase. Ob Bären in freier Wildbahn auch solche Babys waren? Irgendwie bezweifelte Emily das.

© Mariella Hofer 2022-08-28

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