Ich hatte genau geplant, wann ich meine Frau wiedersehen würde. Das letzte Mal haben wir uns an Silvester gesehen. Meine Arbeit in Frankreich würde ich am 31. März beenden und am Tag darauf würde ich bei ihr in Bayern ankommen. Doch es kam anders.
Seit Mitte März befinde ich mich in Österreich. Ich wohne ganz in der Nähe der Grenze zu Deutschland. Doch überqueren darf ich sie im Frühling 2020 nicht. Seit Mitte März warte ich darauf, dass es eine Ausnahmeregelung für Lebenspartner gibt. Und seit ich darauf warte, habe ich mich gehen lassen. Ich habe von zuhause aus gearbeitet. Das habe ich auch bereits vor Corona zeitweise getan. Doch diesmal fällt es mir schwer, den Tag zu strukturieren. Auf der Couch liegen leere Kekspackungen, in der Küche stapeln sich Teller mit Essensresten.
Wofür aufstehen, wenn ich doch immer nur die Augenringe als Produkt meiner schlaflosen Nächte im Spiegel sehe. Warum in der Weiterbildung bemühen, wo ich doch Geld brauche. Wieso sich im Home Office bemühen, wenn sich die Auftragslage schlagartig ändert. Wozu die Wohnung sauber halten, wenn eh niemand zu Besuch kommt. Obwohl ich jetzt nicht mehr in Quarantäne bin, trage ich ständig Jogginghosen und ausgewaschene T-Shirts. Immer. Nicht nur zuhause, sondern auch wenn ich einkaufen oder spazieren gehe.
Woanders gehe ich sowieso nicht hin. Und seit zwei Monaten habe ich niemanden als mich selbst persönlich gesehen. Meine Eltern habe ich seitdem nicht besucht und Freunde sehe ich nur per Video. Dass ich mir gemeinsam mit meiner Frau ein Leben in Österreich aufbauen will, hat sich in den Mai verschoben.
Nach zwei Monaten Einsamkeit warte ich heute gespannt auf eine besondere Nachricht. Die leeren Chips-Packungen habe ich unter dem Couchtisch hervorgeholt. Die alten Getränkedosen habe ich vom Tisch geräumt. Den Staub, der zwischen den leeren Verpackungen gewachsen ist, habe ich weggesaugt. Die Verzweiflung ist einer gespannten Erwartung gewichen. Endlich klingelt mein Handy. Meine Frau, die ich seit fünf Monaten nicht gesehen habe, ruft mich an.
Heute hat sie sich mit Dokumenten auf den Weg gemacht, die ihren und meinen Wohnsitz nachweisen. Sie hat gerade die Grenze von Deutschland nach Österreich überquert und ist in ein paar Minuten in unserer Wohnung. Ich kann kaum glauben, dass das wahr ist.
Wochenlang waren die Grenzen geschlossen. Wann sich Lebenspartner unter welchen Bedingungen besuchen dürfen, war auch nach gezieltem Nachfragen nicht klar. Niemand konnte mir eine Antwort darauf geben. Doch endlich steht sie wieder vor mir. Und ihr Lächeln verzaubert mich noch immer so, wie am ersten Tag. Glücklich darf ich sie wieder in die Arme schließen und die Freudentränen kann ich nicht zurückhalten.
© Angelika Jungwirth 2020-08-29