DER APFELGARTEN

Roswitha Springschitz

von Roswitha Springschitz

Story

Nein, es war nicht unser Garten; vielmehr jener bei einer Ferienwohnung, nahe einem schönen See, umgeben von Bergen, der seinen so eigenen, märchenhaften Reiz auf mich ausübte. Mehr oder weniger durch Zufall waren wir in dieser Ferienwohnung gelandet – da Christian auf unserer Reise erkrankt war; einen Zwischenstopp, eine Rast brauchten wir, auf unserer Heimreise. „Sie können Äpfel essen, so viele, wie sie wollen!“, hatte mir die Besitzerin des Gartens gesagt. Tatsächlich befanden sich in diesem fünf oder sechs kräftige, gesunde, teils schon etwas ältere Apfelbäume, die nunmehr, Ende August, voll waren mit vielen reifen und einigen noch reifenden Äpfeln. „Ich kann all diese Äpfel nicht ernten und verbrauchen, also, bitte, nehmen Sie! Gerne ganz viele. Brauchen Sie vielleicht einen Karton?“ Nein, ich hatte nicht vor, einen Karton mit Äpfeln zu füllen. Hatte ganz andere Sorgen, an diesem Tag. Christian ging es nicht gut und ich hoffte auf eine Besserung. Er konnte und wollte nichts zu sich nehmen; ich hatte ihm Tee, Suppe und Zwieback angeboten und ihn beschworen, ein wenig zu trinken. Am Nachmittag hatten wir eine Ärztin konsultiert, die uns nach der Untersuchung geraten hatte, ein Krankenhaus aufzusuchen, wenn sich Christians Zustand verschlechterte. Abenddämmerung. Ich schlenderte durch den Garten und betrachtete den langsam dunkler werdenden Himmel: Das Rot am Horizont, im Westen wandelte sich, nach und nach wurden die Blautöne des Himmels satter und dunkler. Die Zweige der Bäume hoben sich dunkel von diesem ab. An zwei der Apfelbäume hatte die Besitzerin kleine Solar-Lampions befestigt, die nun zu leuchten begannen. Das sah zauberhaft aus; romantisch. Ich legte mich in die Hängematte, die ebenfalls an diesen beiden Bäumen befestigt war und schaukelte sanft. Apfelduft erfüllte die Luft; außerdem nahm ich den Geruch von frisch gemähtem Gras wahr: Die große Wiese neben dem Garten war an jenem Nachmittag gemäht worden. Die Mondsichel und einige Sterne wurden am Himmel, über der dunklen Silhouette der Berge, sichtbar. Grillengezirpe. Einige Momente lang fühlte ich tiefen Frieden; fühlte mich wie in einem Zaubergarten, einem Paradies, das ich nie mehr verlassen wollte; nahm einen der reifen Äpfel vom Boden auf und biss hinein: Er schmeckte wunderbar süß, saftig. Mittlerweile war es ganz finster geworden und es fröstelte mich ein wenig. Auch waren wieder all die sorgenvollen Gedanken rund um Christians Gesundheitszustand da. Ruckartig sprang ich aus der Hängematte und begab mich ins Haus. Einen zweiten Apfel nahm ich noch mit. Für Christian, wenn es ihm besser ginge… Wie schön wäre es, wenn es ihm über Nacht viel besser ginge und wir am nächsten Tag gemeinsam die Gegend erkunden könnten, dachte ich mir aus. Allein dem war nicht so. Wir reisten heim, so rasch wie möglich…

© Roswitha Springschitz 2021-04-13

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