von Hannah Trapp
Meine Füße setze ich langsam vorwärts. Schritt für Schritt. Ich sehe auf und denke, dass Nürnberg eigentlich echt schön ist. Ich habe mein Ziel erreicht und schaue verträumt aufs Wasser. Mein bevorstehendes Staatsexamen macht mir Angst. Es ist so etwas Endgültiges. So etwas – ja, so etwas Entscheidendes. Mein Leben legt sich dadurch ein Stück weit fest. Es legt sich fest, wer ich werde… Und ich denke in diesem Moment, es würde eben sehr viel ausschließen, was ich nicht mehr werden kann. Ich schließe nachdenklich meine Augen, weil ich mir vorstellen will, wer ich hätte sein können, wenn ich mich nicht für diesen Weg entschieden hätte.
Es riecht nach Kaffee. Sehr sogar. Nach dieser Stärke von Kaffee, die mir meistens auf den Magen schlägt. Ich sehe eine ältere Version meiner selbst. Ich bin schlank geblieben – was für ein Glück. Meine Haare sind etwas heller gemacht. Hilfe. Ich wühle mich durch einen ganzen Berg Papier. Dann kritzle ich etwas auf einen Notizblock. „Verdammt“, fluche ich „Verdammter, blöder, arroganter Bürgermeister!“ Jemand bleibt hinter mir im Türrahmen abrupt stehen und ich drehe mich um. „Jana“, grinse ich. Was ein Glück. „Das sind aber böse Töne“, wirft mir meine liebste Kollegin gespielt böse vor „Und das, obwohl du doch deine letzten Artikel für uns schreibst“, fährt sie nicht ohne Wehmut in der Stimme fort. Ich sehe sie entschuldigend an, kann mich aber offensichtlich kaum halten. „Dem Himmel sei Dank. Ich bin es so leid!“ „Jetzt darfst du ja bald spannende Lifestyle-Artikel produzieren“, muntert sie mich auf. „Du solltest wirklich mit mir mitkommen. Ich arbeite mich etwas ein und lege dann bei der Chefin ein gutes Wort für dich ein…“, schlage ich vor und lege meinen Stift demonstrativ weg. Jana lacht. „Ach, Quatsch…“ „Komm schon. Wir haben doch nicht so lange studiert, um hier ein Leben lang die Interviews mit dem Bürgermeister, dem lokalen Tierschützer und den Abiturienten vom Gymnasium zu transkribieren…“ Jana lacht noch mehr. „Ich finde die Lokalpresse gar nicht so schlimm, wie du“. Ich seufze. Scheinbar nehme ich es ihr nicht ab. Wir hatten zusammen Journalismus studiert. Uns im ersten Semester – damals gleich mit achtzehn – kennengelernt. Wir hatten zusammengelebt und jetzt würde ich sie hier in dieser kleinen, blöden Tageszeitung hocken lassen und zu einem coolen Lifestyle-Magazin wechseln, wo all mein Sprachwitz endlich Verwendung finden würde. Ich hatte es endlich geschafft. Nach qualvollen Prüfungen, einer furchtbaren Bachelorarbeit, drei Jahren Mutterpause und fünf furchtbaren Jahren Lokalpresse. Nie wieder – nie wieder nach heute – würde ich auch nur einen Artikel schreiben, der nicht nur so vor Stil überquillt. Nur noch aufregende Headliner. Nichts kann mich bremsen. Ich schütte den Kaffee rein. Höchstens meine Koffeinsucht, die mir noch immer Magenschmerzen bereitet. Naja, und die Probleme mit der Kinderbetreuung, die durch meinen neuen Job entstehen… Ich sehe Jana fragend an. Waren wir richtig abgebogen als wir damals entschieden hatten, das Studium nicht zu schmeißen?
© Hannah Trapp 2023-04-06