Der Autofahrer – Die Heimfahrt

Richard Gemba

von Richard Gemba

Story

Es ging darum, wie die Konsumption bestimmter Erzählungen unser Erleben und unseren Alltag bestimmen. Aha, dachte er, wenn also dies und jenes in unserem Umfeld diese oder jene Handlungsweise hervorrief, dann werden wir wohl unsere Gesellschaft dieser Erkenntnis anpassen müssen. Und so fuhr er wieder auf den Zeiger, in Richtung seines gemütlichen Reihenhauses. Er drehte im lärmenden Stadtverkehr das Radio auf, um das Hupen der anderen Verkehrsteilnehmer zu übertönen, drückte aufs Gas um sich einzureihen und schloss das Fenster, um nicht die ganzen Abgase einzuatmen – man wusste ja schließlich, wie ungesund das war.

Nach ein paar hundert Metern gärte in ihm wieder Aufregung wegen des elendigen Kreisels – doch mit einem Mal erblickte er ein altes, eingerahmtes Schaufenster und war wieder Student. Wieder in den jungen, lang vergangenen Tagen, als er hier jeden Abend strandete. Schnell, hektisch zog er seinen Wagen in eine Parklücke hinüber. Mit einem Knistern verstarb das Radio, die Journalistin konnte gerade noch ausführen, wie selbst kleinste Veränderungen in unserem Alltag dazu führen können, dass wir unsere Umwelt völlig anders wahrnehmen.

17 Minuten nach Hause, Essen erwarteten die Stifte allerdings erst in einer Stunde. Eine halbe zum Kochen. So überschlagend betrat er den Buchladen.

Als er die Tür öffnete, strömte ihm mit einem mal wieder der altbekannte wohlig- moderige Geruch entgegen. Alles war geblieben, wie er es verlassen hatte. Wieder strich er durch die Gänge und wieder bewunderte er die feine Sortierung der Bücher. Als er gerade in seinem alten Lieblingsregal zu stöbern begonnen hatte, hörte er eine Stimme hinter sich: „Es ist wundervoll, nicht wahr?“. Als er sich umdrehte, sah er einer kleinen Frau in die Augen, die ihn mit einem Klemmbrett auf dem Arm ansah. Ohne eine Antwort abzuwarten, fuhr sie fort: „Wo ihnen der Laden so zu gefallen scheint – könnten sie vielleicht diese Petition unterzeichnen?“

Nach ein paar Minuten sah man ihn herausstürmen, einen Stapel Bücher auf dem Arm.

Jeden Morgen.

Verfluchte er sich innerlich.

Jeden Morgen hole ich mir da drüben dieses bräunliche Wasser, das die Fastfoodläden Kaffee schimpfen, aber wann war ich das letzte Mal hier?

Und er nahm sich vor, in Zukunft immer mal wieder vorbeizuschauen. Vielleicht konnte er ja ein gutes Wort bei seinem Chef für die Kreditlaufzeit einlegen? Doch an den mattgrauen Hautton des Chefs denkend war ihm klar, dass dieses Unterfangen aussichtslos war. Bedrückt fuhr er nach Hause, sah im Rückspiegel den verschmutzten Backstein im Boden versinken, links und rechts von sich die Häuser kleiner werden und schließlich den Wald am Südende der Stadt auftauchen. Er bog nach links in Richtung zu Hause ein, sah, wie die Kinder gerade von der Schule heimkehrten und ein trauriges Lächeln umspielte seine Lippen. Immerhin würden sie jetzt vielleicht mal wieder ihre Handys aus der Hand legen und etwas echtes lesen.

© Richard Gemba 2022-08-31

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