Der beste Freund meines Bruders

Tim Schreiber

von Tim Schreiber

Story

Mein Bruder hatte einen besten Freund. Dieser ging fast täglich bei uns ein und aus. Ich fand ihn mega cool, denn er war beliebt bei den Mädchen, war witzig und super sportlich. Die beiden machten viele Sachen ohne mich, denn ich war ja nur der jüngere Bruder. Aufgrund meiner längeren Haare nannte er mich liebevoll „Zottel“, was ich meistens einfach überhörte. Durfte ich mal mitspielen, endete es meistens damit, dass ich heulte, weil die beiden mich ärgerten. Eines Tages spielten wir im Zimmer meines Bruders und sein Kumpel entdeckte im Schrank jede Menge Gürtel. Schnell war die Idee geboren, dass man mich ja damit fesseln könnte. Zuerst wurden nur meine Beine eingewickelt, was ich nicht weiter schlimm fand. Dann umwickelten sie meinen Oberkörper mit Gürteln, was ich zwar nicht mehr ganz so lustig fand, aber ich wollte nicht der Spielverderber sein, der wieder gleich losheult. Inzwischen sah ich aus, wie eine riesige Lederraupe und bewegen konnte ich mich gar nicht. Mein Bruder und sein Kumpel lachten die ganze Zeit und obwohl ich mich überhaupt nicht wohlfühlte, musste ich ebenfalls lachen. Wahrscheinlich weil es mir das Gefühl gab, dass ich dazu gehörte. Dann kam zufällig meine Mutter rein und war sehr erschrocken darüber, wie sie mich vorfand. Sie schimpfte mit den beiden und befahl ihnen, mich sofort loszubinden. „Irgendwann hängt er mir noch an der Lampe!“ Das waren ihre Worte. Ich verstand sie damals nicht. Mein Bruder und sein Freund schon. Damals dachte ich, dass sie eine lustige Bedeutung hatten, weil die beiden den Satz immer wiederholten und sich dabei halb totlachten. Zu diesem Zeitpunkt war ich für die beiden nur ein temporärer Zeitvertreib, mit dem man machen konnte, was man wollte.

Ein paar Monate später war ich immer noch bereit, den Spott zu ertragen, solange ich dabei sein durfte. Die ewigen Sticheleien des besten Freundes meines Bruders sorgten mit der Zeit dafür, dass ich um einiges schlagfertiger wurde. Der Freund machte einen Witz über mich und mein Bruder lachte. Mein Bruder wollte sich über mich lustig machen, in dem er auch etwas über mich sagte, denn so lief es normalerweise ab. Üblicherweise endete es dann damit, dass ich irgendwann heulte. Doch diesmal nicht. Ich konterte und mein Bruder musste zum ersten Mal erleben, dass sein bester Freund ihn auslachte und meinen Witz feierte. Es war ein so berauschendes Gefühl, nicht mehr das Opfer zu sein. Da mein Bruder mit Worten nicht mehr weiter kam, denn ich war ihm ebenbürtig geworden, nutzte er kurzerhand seine körperliche Überlegenheit und schlug zu. So lief es dann jedes Mal ab. Er witzelte, ich konterte. Aua! Eventuell ist das auch der Grund, warum ich es bis heute nicht lassen kann, das letzte Wort zu haben.

© Tim Schreiber 2025-01-25

Genres
Biografien
Stimmung
Emotional, Reflektierend