Der Besuch

Christa Mittermayer

von Christa Mittermayer

Story

Es ist später Abend, die Glocke schrillt ungehört durch leere Gänge und Klassen. Ein lautloses Huschen streift durch die Aula, ein Rudel wilder Katzen läuft durch offene Türen, besetzt die Schule. Hungriges Miauen ertönt, wird lauter, steigert sich, ausgehungerte Raubtiere sammeln sich zur Jagd.

Aus der Direktion dringt unter der geschlossen Tür ein Lichtstrahl hervor – verspricht Leben und Wärme. Essensgerüche ziehen das wilde Rudel an. Ein großer, grauer, skelettartiger Kater springt gegen die Türe, immer wieder, bis er die dritte Schnalle erreicht, bleibt daran hängen, zieht sie herunter. Langsam und leise öffnet sich diese, grün schimmernde, hungrige Katzenaugen starren auf einen feisten Rücken. Ein Kopf, über vor sich aufgestapelte Lebensmittel gebeugt, dreht sich vorsichtig dem leichten Luftzug entgegen. Katzenhaare sträuben sich – Menschenhaare erstarren vor Schreck. „Hinaus, weg mit euch, ihr Katzenbiester…..” schrillt eine Stimme durch den Raum, hebt sich, wird lauter, überschlägt sich.

Wie eine einzige riesige Katze setzt das Rudel zum Sprung an – sanftes Fell erstickt den Schrei. „Komisch“, murmelt der Schulwart, als er am Morgen die leere Direktion betritt, „wieso brennt noch Licht? Ich habe doch gestern abgedreht. Hat die Frau Direktor noch unerwarteten Besuch bekommen?”

Mühsam nimmt er Schaufel und Besen und kehrt seufzend die Abfälle zusammen, unbemerkt verschwinden blank genagte, weiß schimmernde Knochen im schwarzen Müllsack.

© Christa Mittermayer 2021-12-30