von Regine Stanzel
Voula trägt zum Frühstück immer Bikini. Sie mag es, wenn die Morgenluft ihren welken Nabel streichelt und Schmetterlinge sich auf ihrer nackten Schulter niederlassen, wippen und sie mit ihren feinen Rüsselchen betasten.Der Bikini ist ein seltenes Stück, von einer mallorquinischen Fischersfrau gehäkelt und von der Sonne und vom Salz langer Sommer gegerbt.Voula fühlt sich frech und jung in diesem Bikini, obwohl sie nun schon weit über achtzig Jahre durchs Leben stolpert.Meist auf steinigen und gewundenen, aber auch manchmal beblühten und bemoosten Pfaden ist sie nun an der Endstation ihrer Sehnsüchte und Träume angekommen. Sie verlässt das Haus und den Garten mit den silbrig schillernden, schrundigen Olivenbäumen nicht mehr. Das Wochenendhaus ist allmählich zum Wochenhaus, zum Monatshaus und schließlich zum Lebensendehaus geworden. Voula ist hier glücklich.Die Zikaden musizieren im Sommer für sie und pfeifende Winde im Winter.
Voula sitzt auf einem kleinen, harten Stuhl mit ihrem harten, krummen Rücken und schaut hinaus aufs Meer.Auch heute wird er wieder kommen.Er ist fast immer pünktlich.Voula findet, das ist eine Art Ehrerbietung an ihr fortgeschrittenes Alte und weiß es zu schätzen.
Es raschelt im dürren, hohen Gras zwischen den Felsen, Steinchen rieseln ins Gebüsch und da ist er auch schon: der Leguan.Mit trägem Blick unter schuppiger Stirn mustert er Voula konzentriert, züngelt und schreitet dann gemessenen Schritts voran.Voula ist, wie immer, gut vorbereitet und hat die große, bunte Plastiktasche neben ihrem Stühlchen bereitgelegt mit ein paar verstummten Zikaden drin als Willkommenshappen.Der Leguan zischt kurz, seine lange Zunge holt sich die Zikaden mit einer kurzen, eleganten Bewegung, dann bezieht er Quartier in der Tasche und es kehrt Ruhe ein.Voula und der Leguan schauen aufs Meer. Ihre müden, weisen Blicke treffen sich am Horizont.
© Regine Stanzel 2021-07-23