von Chiara Ricciotti
Mit einer Bierflasche in der linken Hand und 160 Euro Bargeld in der rechten taumelte er von Stand zu Stand. Kaufte am Stand neben mir ein Bild für 100 Euro und landete dann betrunkener Weise direkt vor meiner Nase. Er erzählte viel, ich lächelte und hörte aufmerksam zu. Ein Soldat aus den USA, hier stationiert. Trinkt gerne, seit gestern Abend wach, war die ganze Nacht tanzen. Als er von meinen Geschichten aus den Augen erfuhr, setzte er sich ungläubig vor mich hin. „Muss ich was tun?“, fragte er mich auf Englisch. Ich schüttelte den Kopf und erwiderte: „Entspann dich einfach, lass mich in deine Energie rein.“
Da ist etwas Zögerliches und Unsicheres. Ein kleiner Junge, mit vielen Geschwistern, geht oft unter, wird nicht beachtet, findet keinen Weg. Da ist auch niemand der ihm hilft. Der Junge ist in einem reißenden Fluss und kann nicht schwimmen. Erwartungen brechen auf ihn ein wie Wellen im Meer und dann ist da noch eine Ex Freundin. Oder Freundin? Etwas mit einer blonden, schlanken Frau. Sie war zuerst sein Rettungsboot. Doch da sind Zweifel. Er will sie, sie ihn nicht. Sie will ihn, er sie nicht. Sitzen im Boot und kämpfen um das Ruder, dabei gehen sie unter. Er muss lernen, dass er inzwischen schwimmen kann, glaubt nicht an sich. Betäubung ist seine Medizin. Wenn, er einschläft bekommen ihn die Bilder. Also schläft er nicht, hat Angst seine Vergangenheit könnte ihn einholen, will sich ihr nicht stellen. Will einschlafen, für immer, seine Augen nie wieder aufmachen. Es scheint aussichtslos.
Mein Kuli klickte: Ich glaube du bist ein Mensch der, sich inmitten von einem reißenden Fluss befindet, du kommst nicht mehr raus. Du musst schlafen, du brauchst Ruhe. Hab keine Angst vor den Bildern die kommen, sie sind Erinnerungen, Teil eines vergangenen Selbst. Wenn, uns das Leben einsperrt müssen wir kämpfen, um uns zu befreien. Betäube dich nicht, das bringt dich weiter rein, nimm die Gefühle so wie sie sind, dann kannst du dich befreien. Was auch immer dir deinen freien Willen nimmt, ist deine Zeit nicht wert. Und deine Ex: Du kannst schwimmen, du brauchst kein Boot.
Er las es direkt vor mir, er weinte beim Lesen. „Woher weißt du das alles?“, fragte er mich, mit großen Augen auf mich gerichtet. „Ich sehe es in deinen Augen.“ Wir schüttelten die Hände. „Du bist stark genug, hab keine Angst.“, erzählte ich ihm. Er gab mir 10 Euro für die Geschichte, kaufte noch ein Bild für 25 Euro und auch wenn er mich zweimal gefragt hat, wollte ich ihn nicht umarmen. Ich werde nicht gerne umarmt.
Wir sahen uns nie wieder, doch ich hoffe, er hat sich befreit. Manchmal, wenn ich mir einen Moment Zeit nehme, bete ich für ihn. Ich hoffe, er hat seine Augen noch nicht für immer verschlossen, ich hoffe, er entscheidet sich dazubleiben. Denn da war noch etwas in seinen Augen: etwas Kluges, etwas Witziges und Hoffnung. Manchmal wissen wir Menschen nicht wie wichtig wir auf dieser Erde sind, ich möchte, dass er bleibt. Ich bin mir sicher, es wäre eine dunklere Welt ohne ihn, wir brauchen ihn.
© Chiara Ricciotti 2024-05-09