Der bittere Brei I: Schwere Flügel

Franziska Eichler

von Franziska Eichler

Story
Hier und Jetzt

In einem alten wunderschönen Elfenwald, gar nicht weit vom Hier und Jetzt, schien die Sonne hell und strahlend durch das Blätterdach. Die Vögel zwitscherten in allen Klangfarben und der Wind wirbelte die von der Sonne erwärmte Luft auf. Dort, in diesem Wald, gab es eine gemütliche Baumhöhle und in dieser Baumhöhle lebte das Elfenmädchen Emma mit ihrer Familie. Die Baumhöhle war sehr geräumig und behaglich eingerichtet, Efeu schmückte die moosbewachsenen Wände. Im Sommer war es hier angenehm kühl und im Winter bot die Behausung Schutz vor kalten Wind, Schnee und Frost. 

Vor der Baumhöhle lag eine Feuerstelle und über dem Feuer köchelte in einem großen Kessel ein bitterer Brei. Dieser Brei schmeckte keiner einzigen Elfe aus der Elfenfamilie gut, aber ihn einfach stehenzulassen war keine Option. Jeden Tag bei Sonnenuntergang musste der Kessel leer sein und jeden Tag bei Sonnenaufgang befüllte er sich wie von Zauberhand neu. Warum das so war, das wussten die Elfen nicht, aber sie hatten sich daran gewöhnt den Kessel zu leeren, denn ein voller Kessel bringe Unglück, sagten sie.

Da das kleine Elfenmädchen Emma von Geburt an erstaunlich viel von dem bitteren Brei essen konnte, freute sich ihre Familie sehr, denn nun waren sie das leidige Problem los, den unliebsamen Brei untereinander aufzuteilen und Emma schienen die großen Portionen nichts auszumachen. 

Die Erde umrundete die Sonne Jahr um Jahr und Emma wuchs und wuchs und gewöhnte sich daran, mehr und mehr von diesem Brei zu essen, bis sie irgendwann ganz allein für den Kessel zuständig war. Über den Tag hinweg aß sie allen Brei, während die anderen Elfen schon kaum noch an den Kessel dachten. Emmas Flügel wurden über die Jahre erstaunlich groß und schwer, so schwer, dass sie nicht fliegen konnte und immerzu vor der Baumhöhle saß und aß, während die anderen Elfen leichter und immer leichter durch die Lüfte schwebten, so leicht, dass sie mit der Zeit Mühe bekamen zurückzufinden, weil sie beim kleinsten Luftzug in eine andere Richtung getrieben wurden.

So verbrachte Emma sehr viel Zeit allein vor der Höhle bei dem bitteren Brei und ihre Flügel wurden schwerer und schwerer. Sie war deswegen ganz traurig und fühlte sich einsam. Emma sehnte sich danach, wie die anderen Elfen durch die Lüfte zu fliegen und den Wald zu erkunden, neue Freundschaften zu schließen und einmal wegzukommen von dieser Feuerstelle und dem Kessel voller Brei, welcher ihr einziges Tagwerk war.

Und während sie wieder einmal diesen Gedanken nachhing, welche sich in dieser Zeit häuften, kam ein schwarzer Panther des Weges und grüßte sie freundlich. Da die Elfe ein solches Wesen noch nie gesehen hatte, wusste sie gar nicht so recht, wie sie sich verhalten, ja was sie überhaupt denken sollte, was zu fühlen und was zu tun hier angebracht war. Der schwarze Panther nahm ihr all diese Entscheidungen ab, denn er nahm einfach neben ihr Platz und fragte sie, was sie da esse.


© Franziska Eichler 2024-08-10

Genres
Spiritualität
Stimmung
Abenteuerlich, Herausfordernd, Emotional, Mysteriös, Reflektierend