Der Blaue Blitz

Georg Jenner

von Georg Jenner

Story

»Wer ist Tyrannistan?« fragte Nina. »Tristan!« antwortete Josh. »Ahh. Warum Josef jetzt immer mit dem abhängt, versteh ich echt nicht. Anscheinend hat Josef nur einen guten Frauengeschmack.« Maria griff mit einem gerührten Lächeln nach Ninas Schulter. Sie gingen durch den Haupteingang. Josh und Ken waren nicht auf die Wand vorbereitet, in die sie reingerannt waren. Es waren keine 30 Grad, doch musste sie sich gefühlt durch die Luft graben. Sie bogen rechts ab, wo der Passat von Ninas Eltern in der Auffahrt stand. »Aber so schlimm ist Tristan jetzt auch nicht«, sagte Nina. »Ja, der Name ist von früher, bevor du zu uns kamst. Bis zur 10. Klasse war er einfach ein Klischee-Highschool-Bully. Wenn wir Spinde gehabt hätten, hätte er Josh safe regelmäßig eingesperrt«, erklärte Maria. Josh schwang mehr beleidigt als wütend seinen Kopf rüber. »Warst du wirklich so ein Loser in der Mittelstufe?« wollte Nina wissen. »Weißt du, ich würde eher sagen, dass ich einem System ausgeliefert war, das nicht auf mich ausgelegt ist. Ich war nicht uncool oder lernfaul, in solchen Kategorien denk ich gar nicht. Ich war Opfer meiner Umstände.« »Du hättest auch einfach ja sagen können«, lächelte Nina ihn beleidigend an.»Ach, für Poetik ist immer Zeit.« »Wenn du das Poetik nennst, warst du im Deutschunterricht auf jeden Fall lernfaul«, lachte Maria.»Wenn du glaubst, dass man im Deutschunterricht irgendwas über Poesie lernen kann, hast du Poetik nicht verstanden. Das stimmt, Poesie und Faschismus schließen sich einfach gegenseitig aus«, warf Ken ein, und die anderen schauten ihn ein wenig überrascht an. »Aber ich bleib dabei, nur weil sie Faschistin ist, ist sie noch längst keine schlechte Deutschlehrerin.« »Im Gegenteil«, Nina gab eine schlechte Hitler-Imitation von sich. »Faschistin sein ist doch die ideale Voraussetzung, um die gute deutsche Sprache zu unterrichten.« Sie lachten und fingen schwitzend an, das Auto auszuräumen.»Ken, erklärst du mir nochmal, warum wir Schlumpfwasser im Wert von 30 Euro kaufen sollten?« Maria deutete auf eine Unmenge an blauen Sportgetränken im Kofferraum.»Die brauchen wir für den Blauen Blitz.«»Was ist das denn?« »Vodka, Prosecco und Powerade.« »Das klingt nach einem absoluten Verbrechen«, sagte Maria angewidert. »Das Zeug ist der absolute Hammer und eine sehr durchdachte Mische, denn durch die Elektrolyte im Powerade kriegst du keinen Kater.« »Und du wirst auch noch wahnsinnig schnell betrunken«, sagte Josh im Vorbeigehen. »Ken, du bist wirklich der letzte Mensch, dem ich es zutrauen würde, eine durchdachte Mische zu entwerfen.« »Glaub mir, der Blaue Blitz wird bei dieser Party einschlagen, und du wirst mir noch dankbar dafür sein.«Sie griffen sich die restlichen Getränke und liefen zu Josh, der vorm Haupteingang stand und in die Luft guckte.»Solche heranziehenden Sommergewitter sind echt cool. Ich gucke in die eine Richtung und sehe strahlenden Sonnenschein, ich dreh mich um und hab so ne Weltuntergangswolken vor mir.« Er schaute auf die fast schwarze Wolkenfront, die sich langsam hinter dem waldigen Berg hinter dem Kindergarten aufbaute. »Diese Energie in der Luft – du spürst einfach, dass sich da gleich was Heftiges entladen muss. Ich lieb’s.« Sie ließen sich noch einen Moment vom Wetter fesseln. Ken las währenddessen die Inschrift des Kindergartens vor: »Kindergarten Morgenröte. Es gibt so viele Morgenröten, die noch geleuchtet haben.«Alle lachten. »Was’n Cringe.«

© Georg Jenner 2024-09-01

Genres
Humor& Satire