Der blinde Dandolo

Wolfgang Mayer König

von Wolfgang Mayer König

Story

Wolfgang Mayer König

Wir stimmen zu, hatten alle geschrien, nachdem der fast hundertjährige blinde Doge das Volk befragte, sich gegen Konstantinopel einzuschiffen. Den entscheidenden Schlag führt er selbst mit seiner Dogengaleere am goldenen Horn. Er läßt sie an den anderen Schiffen vorbeisteuern und mit hoher Geschwindigkeit auf Konstantinopel zuhalten. Blind, in voller Rüstung steht er selbst am Bug mitten im Herbeischwirren der Pfeile, das Markusbanner Venedigs von seiner Hand umschlossen. Als die Galeere am schmalen Landsaum aufläuft, springen einige an Land und rammen die Standarte in den Boden. Die Venezianer erstürmen die Mauern Konstantinopels und erobern die Wachtürme. Was in der Folge geschieht ist nicht zu beschönigen, auch nicht in Jahrhunderten vor den blendenden Spiegeln der Geschichten. Es wurde ein brutaler Raubzug, der wie im Wahn alles zerstörte. Antike Statuen wurden aus den Palästen gezerrt, Kleinodien und Schmuck aus den Häusern geraubt. Porphyrene Säulen und kostbare Halbreliefs wurden abmontiert, abgerissen zur künftigen Ausstattung der Hauskapelle des Dogen, der Markuskirche. Aber auch die anderen Kirchen Venedigs, welche zahllosen Heiligen geweiht sind, häufen die Schätze erschlagener Menschen und Völker. Der Hochaltar der oströmischen Hauptkirche, der„Hagia Sophia“, zerschlagen, um die Edelsteine seiner kunstvollen Verzierungen schneller herausbrechen zu können. Alles, was nicht niet-und nagelfest war, wurde verschleppt, selbst noch die Silberverkleidung der Altarstufen. Um die reichliche Beute abzutransportieren, wurden zahllose Maultiere in das Heiligtum getrieben, bis der Boden über und über mit Kot bedeckt war. Währenddessen wurden am Hochaltar Frauen vergewaltigt. So entledigten sich die christlichen Krieger ihrer Kreuzzugspflicht. Das Beutegut der Venezianer aber wurde an die Lagune verschifft. Eines der hervorragendsten Kunstwerke Konstantinopels, die vielbesungene und gepriesene „Quadriga“, eine Gruppe von vier Pferden von den Wendepunkten der Pferderennbahn Konstantinopels, stellten die Venezianer über dem Hauptportal der Markuskirche auf, in welcher die reliquiaren Gebeine des Heiligen Markus ruhen, die auf ähnliche Weise aus Alexandrien besorgt worden waren. Doch am Himmelfahrtstag, da fährt er noch einmal mit der Prunkgaleere, dem „bucintoro“, hinaus, um die symbolische Hochzeit Venedigs mit dem Meer zu feiern, vom Bug flattern die erbeuteten Fahnen der Türken. Dann läßt der Doge den Vermählungsring ins Wasser gleiten. Auch Casanova schaut von einem Boot aus zu und notiert: „Beim leisesten ungünstigen Wind könnte das Schiff kentern und der Doge ertrinken, zusammen mit der ganzen erlauchten Signoria, mit den Botschaftern und auch mit dem Nuntius des Papstes. Um das Unglück voll zu machen, brächte ein solcher Zwischenfall ganz Europa zum Lachen, denn man würde sagen, der Doge von Venedig habe die Ehe endlich vollzogen.“

© Wolfgang Mayer König 2020-04-29

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