von Flora_Kettner
Über die Festtage spukte die Heizung in unserem Chalet. Es war eisig kalt und wir stellten in jedes Zimmer einen Elektroofen. Draußen lag viel Schnee und es war so kalt wie die Kälte in unseren Herzen. Vor uns lagen wieder Weihnachtstage ohne meinen Vater und er fehlte überall, doch wir sprachen nach wie vor nicht darüber, ein jedes Familienmitglied trauerte alleine. Dazu kam, dass in den Zeitungen Fragen laut wurden, weshalb unsere Familie immer noch in einem Schloss wohnte, wo doch noch viele Gläubiger auf ihr Geld warteten.
Es war am 28. Dezember. Nachdem ein Monteur den Kessel reparierte und die Heizung wieder funktionieren sollte, verließen wir das Chalet, um auf die Skier zu gehen. Als wir zurückkamen, lag ein eigentümlicher Geruch in der Luft, nach Asche und verbranntem Holz. Wir stellten unsere Skier ins Depot und liefen durch die Dorfstrasse nach Hause. Unser Chalet lag etwas versteckt und als wir um die letzte Kurve bogen, bot sich uns ein schrecklicher Anblick: Feuer stieg aus dem Dach, dunkler Rauch hüllte das Haus ein, die Feuerwehr hatte die Gegend großflächig abgesperrt und eine Menge von Schaulustigen stand herum. Ich bemerkte, wie meine Mutter sich auf den Arm meines Bruders stützte, wir zwängten uns irgendwie durch die Menge, schafften es auf den Vorplatz und dort brach sie zusammen.
Die Polizei brachte uns in ein Hotel und legte meine Mutter in der Bibliothek auf eine Chaiselongue. Dann kam der Arzt und untersuchte sie, es war ein Schwächeanfall gewesen. Was er nicht bemerkte: Meine Mutter hatte damals schon ernsthafte gesundheitliche Probleme mit ihrem Herzen. Irgendwann gegen 19 Uhr, das Feuer war gelöscht und die eisige Nacht hatte sich übers Dorf gelegt, fuhr unser Chauffeur vor. Wir Mädchen sollten nach Hause, meine Mutter wollte mit Julian vor Ort bleiben und den Schaden am Tageslicht begutachten. Ein kleines Glück im grossen Unglück: Die Feuerwehr konnte alle Vito-Bilder retten – verbrannt waren die Nerz- und Hermelinmäntel, die antiken Holzmöbel und sonst alles, was sich über die letzten Jahrzehnte in unserem Ferienhaus angesammelt hatte: also ein kleines Leben.
Das Chalet gab es nicht mehr, ein Kabelbrand an der Heizung war der Auslöser des Brands gewesen. Wir konnten nur retten, was wir auf uns trugen: die Skianzüge, ein paar Münzen, den Hausschlüssel. Alles andere war verbrannt oder von der Hitze des Feuers weg geschmolzen. Natürlich wurde das Chalet irgendwann wieder aufgebaut und die Versicherung bezahlte – aber wer schon einmal einen Brand erlebt hat, der weiß: Kein Geld der Welt kann den Verlust ersetzen. Noch heute hänge ich ab und an den Erinnerungen nach, sehe die alten orangen Vorhänge vor mir, den grünen Teppich, rieche das knorrige Arvenholz in der Küche oder sehe die sonnengegerbte Holzterrasse vor mir. Es war ein Abschied von vielen, den wir als Familie durchzustehen hatten und es würden noch viele kommen. Schmerzen tut ein jeder und ein jeder hinterlässt eine Lücke. Das ist das Leben.
© Flora_Kettner 2021-05-06