Der bunte Hund

„… zu bunt, um grau zu sein“; heißt es auf der Website. Das macht neugierig, und die Speisekarte lässt einen das Wasser im Mund zusammenlaufen.
Schnell eine Bekannte gefragt – und los gehts. Der bunte Hund liegt am Aarebecken beim Mühleplatz in Thun. Es ist ein Integrations-Projekt für und von Menschen mit einer Behinderung.
An diesem Donnerstagabend sind wir die einzigen Gäste. Wir werden von einem jungen Mann mit einem strahlenden Lächeln begrüßt und in den ersten Stock begleitet. Wir sind sofort per Du. Am Tisch wartet eine bunte Speisekarte darauf, gelesen zu werden.
Nach einer umfangreichen Bestellung kommen wir ins Reden und philosophieren. Der bunte Salat kommt, schön dekoriert. Meine Bekannte erzählt und erzählt, ich nicke und esse. Ich bin folglich früher fertig als sie. Der junge Mann bringt die beiden Hauptgerichte, stellt die bunten Teller auf dem Nebentisch ab und bemerkt zu meiner Bekannten: „Deine Kollegin ist mit dem Salat längst fertig. Wahrscheinlich sprichst du einfach zu viel!“ Ich muss mir das Lachen verkneifen. Sie, etwas verlegen:“Nein nein, das ist nicht so. Sie isst vielleicht schneller als ich.“
Ich: „Doch, doch, der junge Mann hat recht. Du sprichst eindeutig mehr als ich.“ Wir prusten los.
Zufrieden zieht der junge Mann von dannen, um gleich darauf mit einem Kollegen im Schlepptau aufzutauchen, der Freude daran hat, die an langen Schnüren aufgehängten Lampen hin und her zu schwenken. Der andere Bursche reagiert sofort und zieht den selig lächelnden Kollegen mit sich weg, bevor er einen größeren Schaden anrichten kann.
Während wir essen, taucht alle paar Minuten ein weiterer Mitarbeiter auf und fragt, ob alles in Ordnung sei.
Wir nicken jedes Mal und vertiefen uns wieder ins Gespräch. Bei der vierten Nachfrage innerhalb zehn Minuten schaue ich ihn wohl etwas zu irritiert an, denn er erwidert entschuldigend: „weißt du, unserem Chef ist es wichtig, dass die Gäste zufrieden sind. Deshalb müssen wir leider so oft nachfragen.“ Das leuchtet auch uns ein und so bestellen wir noch einen Kaffee.
Ich bestelle einen Cappuccino mit laktosefreier Milch. Der junge Mann sieht mich hilflos an. „Meinst du koffeinfreien Kaffee?“-„Nein, hast du keine laktosefreie Milch?“-“ Ich habe Reismilch im Angebot, die ist ja auch laktosefrei.“- Huch, das schüttelt mich. „Eh nein, dann bring mir bitte einen ganz normalen Cappuccino.“
„Normal, heißt das mit Coffein?“
Ich nicke zustimmend. „Ja, normalen Kaffee mit Coffein.“
Dann komme ich ins Grübeln. Normal-was heißt das eigentlich genau? Ist etwas normal, weil es den meisten Menschen so entspricht, weil ihr Denken, Fühlen und Handeln so genormt ist? Hat es darum mehr DaseinsbeRechtigung als das des anderen, das ungenormte, ungeschliffene, aber umso überraschendere Denkmuster?
Wenn wir doch beide Welten, eine eher grau, die andere voll bunt, ineinanderfließen lassen, dann wird unser aller Leben bunter, und lustiger.
Einen Versuch ist es wert.