Eine wahre Begebenheit.
Ich hätte nie im Leben gedacht, dass ich eines Tages Busfahrer werde. Bevor ich diesen unerwarteten Pfad des Lebens betrat, arbeitete ich als Maler und Lackierer. Korrosionschutz. Keine Tapeten abkratzen, sondern alte Bleifarbe von Stahlkonstruktionen flexen und dann mit stark lösemittelhaltigen Farben beschichten. Anstrengend und ungesund. Ich hatte die Schnauze voll. Ein sauberer Job musste her. Beim Grillen sprach ich mit einem guten Freund der Familie, dass ein anderer Freund Busfahrer sucht. Über kurz und lang, hoch und tief, hat das Arbeitsamt mir einen Bildungsgutschein ausgestellt und die Umschulung zur Fachkraft im Personenverkehr konnte losgehen. Erst LKW und dann Bus fahren. Ich mag es, Dinge in Bewegung zu setzen, aber ich hätte nie gedacht, dass es soviel Spaß macht, die großen Dinger zu fahren. Das Unternehmen fuhr Linien- und Reiseverkehr. So viele verschiedene Gesichter sind durch die druckluftgesteuerten Türen ein und aus gegangen. Manche lächelnd, manche traurig, neutral, wütend, enttäuscht, und alle anderen Emotionen die unsere Gesichtsmuskulatur ausdrücken kann. An einer Haltestelle standen zwei Studierende und unterhielten sich. Sie kamen diskutierend rein und hielten mir, ohne mich anzuschauen, ihren Studierendenausweis hin, der gleichzeitig ein Semesterticket war. Ich begrüßte Sie mit einem freundlichen Hallo. Beide brachen das Gespräch ab und wendeten ihr Gesicht in meine Richtung, guckten mich schockiert und verwundert an. Sie starrten drei Sekunden in meine Richtung, erschrocken darüber, dass da anscheinend jemand saß. Dann wendeten sie sich wieder zueinander und redeten weiter, als wäre nichts gewesen. Ich nicht da gewesen. Nur ein Geist in der Maschine, die sich von selbst bewegt. So Namen mich die Einen wahr. Aber dann gab es noch die Anderen. Menschen die einem schnell die halbe Lebensgeschichte erzählten. Da gab es auch die Penetranten, aber auch die Freundlichen. Ironischerweise spielten sich alle diese Gespräche unter dem Schild -Bitte während der Fahrt nicht mit dem Fahrer sprechen. – ab. Die Ratsuchenden lagen mir besonders am Herzen. Ein älterer Herr, einer der freundlichen, fuhr fast jeden Tag mit, wenn ich da war. Und in eine Fahrtrichtung erzählte er Stücke aus seinem Leben. Dann kam der Tag und ich ging in der Nachbarstadt einkaufen, ging grade die Treppe am Hauptbahnhof entlang. Jemand stürzte die Treppe runter und eine Frau schrie um Hilfe. Der gestürzte Mann lag benommen und verwirrt am Boden. Als ich zu ihm ankam, erkannte ich ihn, es war der Herr aus meinem Bus. Sein Name und was die letzten Tage so passiert waren, holten ihn Stück für Stück in die Realität zurück. Er wirbelte nicht mehr mit den Armen um sich und konnte versorgt werden. Sein Puls und seine Atmung wurden ruhiger. Es schien nicht viel gewesen zu sein, meiner Meinung nach, aber für seine geschockte Frau, die mit der Situation etwas überfordert war, bedeutete es die Welt.
© Andreas Czwodzinski 2021-08-17